
Auf Trauer folgt Zorn. Erst stellte der Journalistenmord in der Slowakei den Innenminister in Frage, dann den Premier, jetzt das ganze mafiöse System. Eine Erkundung unseres EU-Nachbarstaates sechzig Kilometer hinter Wien
Auf Napoleons Anhöhe weht eiskalter Wind. Etwas Schnee verdeckt ein wenig von den goldenen Buchstaben, die den Namen Bonaparte ergeben. Wo Frankreichs Feldherr 1809 die Aussicht auf Pressburg genoss, ragt heute ein Luxuskomplex in den Himmel. Errichtet von einem beleibten Oligarchen, der gern in seinem Bugatti Veyron durch das nunmehrige Bratislava brettert. Tausend und ein PS, auf Hundert in zweieinhalb Sekunden, nur 450 Mal gebaut und für 1,2 Millionen Euro das Stück verkauft. So rasch, wie sein Bolide beschleunigt, so schnell drehte sich auch das Steuerbetrugskarussell, welches der Oligarch betrieb.
Doch er pflegte eben auch gute Kontakte zum feschen Innenminister Robert Kaliňák, der den „Cash“, welcher plötzlich auf seinem Konto lag, kaum erklären konnte. Und ihn daher einfach schelmisch weglächelte. Bis herauskam, wer eine der Wohnungen im Bonaparte-Komplex belegt. Dort mit dem Aufzug direkt in ein 320 Quadratmeter großes Loft fährt und bei einem monatlichen Gehalt von 4.000 Euro netto eine Uhr vom fünffachen Wert auf dem Handgelenk trägt: Robert Fico. 53 Jahre alt, Sozialdemokrat und seit 2006 mit Unterbrechung Premier der Slowakei. Es folgten Proteste, Aufforderungen zum Rücktritt, Beschimpfungen der Aufdecker durch den Regierungschef. Dann war alles ausgestanden. Abgelegt als weitere Episode in der nie endenden slowakischen Korruptionsfolklore seit Ausrufung des Staates vor 25 Jahren. Der Premier lebt bis heute, zwei Jahre danach, im Mafia-Nest hoch über der Hauptstadt.
Proteste wie zuletzt 1989
Aber dort unten ist dieser Tage alles anders. Wind peitscht über den Freiheitsplatz, der auf drei Seiten von Gebäuden im kommunistischen Barock eingerahmt wird. Es ist bitterkalt, und eine Menge steht schweigend im Dunkeln. Zeitungen werden später 25.000 Menschen zählen und von der größten Demonstration seit den Novembertagen des Jahres 1989 schreiben. Damals galt dem Staatssozialismus der Protest, die letzten Tage des Regimes waren angebrochen. Heute wird dessen realkapitalistischer Nachfolger zum Ziel. Doch erst ist da einmal Trauer, Bestürzung und Betroffenheit. Über zwei Tote.

„Ein Journalist wurde in der Slowakei ermordet“, sagt eine Kollegin des toten Ján Kuciak auf der Bühne und wiederholt den unfassbaren Satz wieder und wieder. „Angriff auf einen Journalisten = Angriff auf uns alle“, steht in Schwarz auf dem Transparent, das die Menge zuvor durch die Stadt trug. Martin Šimečka erklimmt das Podium. Er ist so etwas wie das gute Gewissen der Slowakei. Der Vater war Dissident im Kommunismus, dem Sohn blieb jedes Studium verwehrt, sodass er anfangs im Geheimen publizierte. Später, nach der Wende, wurde er Chefredakteur der größten Zeitung und Gegner des damaligen autoritären Premiers Vladimír Mečiar. Šimečka verfügt also über ein gewisses Gespür für Veränderungen. „Wir kennen den Namen des Mörders nicht“, sagt er, „dafür den des Täters: Es ist die Korruption. Wehren wir uns nicht, wird die Zahl ihrer Opfer steigen.“ Dann verliest eine Schauspielerin einen Brief, den eine tschechische Kollegin des ermordeten Kuciaks verfasst hat, die mit ihm gemeinsam an seiner letzten Recherche arbeitete. Selbst konnte sie nicht kommen, weil ihre Sicherheit gefährdet ist. Was wenig verwundert, da ihre Zeilen anklingen lassen, dass die beiden auf weit mehr stießen, als bisher erschienen ist.
Vier Clans, zwei Tote
Es ist diese italienische Spur, die die Slowakei in ihren Grundfesten erschüttert. Der Beleg, dass vier Clans der kalabrischen ´Ndrangheta im Osten des Landes nicht nur Fuß fassten, sondern beste Kontakte zur Regierungspartei der Sozialdemokraten pflegten, sich im Agrargeschäft etablierten und Millionen an EU-Förderungen ergaunerten. „Das alles ist nicht ganz neu“, sagt Zuzana Petková, „aber Ján war als Einziger in der Lage, die Fäden zu einem Geflecht zu verbinden und dieses Netz bis in den Regierungspalast zu ziehen.“ Petková hat Kuciak gut gekannt. Obwohl sie bei verschiedenen Medien arbeiteten, half er ihr oft und uneigennützig bei Recherchen. „Er war ein Journalist neuen Typs: nicht einer, der in verrauchten Kneipen Informanten traf, die ihm dort ein Papier zusteckten, sondern einer, der in der Lage war, aus Unmengen von Daten Schlüsse zu ziehen und daraus die Geschichte zu machen.“ Petková hat Tränen in den Augen, wenn sie von Kuciak spricht. Es ist eine Mischung aus Angst, Fassungslosigkeit, aber auch Wut, die ihr Leben seit Tagen bestimmt.
Von Bett zu Bett
Wut, die ein ganzes Volk erfasst hat, wenn es seinen Premier dabei beobachtet, wie er versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen, falsche Fährten legt und so tut, als ob ihn der Mafia-Mord nichts anginge. Wenn das Volk sieht, wie es ihm sein Innenminister Kaliňák nachmacht. Der lacht erst, bevor er betroffen beteuert, alles würde aufgeklärt. Dann trägt sein Polizeipräsident krude Tätertheorien an die Öffentlichkeit und nimmt sie tags darauf wieder zurück. So bleibt fast zwei Wochen nach dem Tod von Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová deren kaltblütige Ermordung unaufgeklärt. Eines tritt dafür umso klarer ans Licht: die Unterwanderung des Staates durch die Mafia.
Oder, wie viele hinter kaum noch vorgehaltener Hand sagen: der Sprung vom Bett des Mafia-Bosses in das des Premiers. Gemeint ist die schöne Mária Trošková. Einst Nacktmodel, dann Finalistin bei „Miss Universe“, dazwischen Geliebte des ´Ndrangheta-Kopfes Antonio Vadalà in der Ostslowakei und später „Hauptberaterin des Staates“ im Büro des Premiers in Bratislava. Worin sie Fico beriet, verriet dieser nie. Dass sie mit Vadalà eine Firma besaß und Roms Behörden die Slowaken vor der Ausbreitung der Mafia-Krake warnten, ist hingegen hinlänglich belegt, blieb aber ohne Folgen. Und so verwundert es kaum, dass die Polizei Vadalà und seine Gefolgschaft erst vier Tage nach dem Mord verhaftete und schon 48 Stunden später aus Mangel an Beweisen wieder freiließ.
Seither dient das Bild der halbnackten Trošková den Demonstranten als Armutszeugnis einer politischen Elite, die sie mit Haut und Haaren der Mafia ausgeliefert hat. In einem Land, das noch nie in seiner Geschichte einen Politiker, Oligarchen oder Richter ins Gefängnis brachte. Die Menge will das nach Jahren des Erduldens nicht länger ertragen. Von der Bühne erklingt die slowakische Hymne. Tausende stimmen ein: „Unsere Slowakei hat bisher tief geschlafen. Aber Donnerblitze erwecken sie, damit sie aufwacht.“
Blitze über der Tatra
Schon schlagen die ersten Blitze ein. Sie machen den Premier zum Getriebenen. Vertraute setzen sich ab, ein Minister geht, der Präsident droht ihm mit Neuwahlen, seine Koalitionspartner pokern. Um Robert Fico wird es einsam. Nur mit seinem Innenminister Kaliňák bildet er ein Bündnis aus Dreistigkeit und Trotz. Ein Demonstrant zeigt Fico als Paten und die Wirklichkeit als einen, der den Kontakt zur Realität verloren hat. Das sagt Matúš Kostolný, Chefredakteur des „Dennik N“. N steht für unabhängig, was in einem Land, in dem Oligarchen die Medien beherrschen, die Ausnahme ist: „Fico hat Angst, dass sein ganzes System zusammenbricht. Wir setzen alles daran, Ján Kuciaks letzte Mafia-Recherche zu Ende zu bringen. Seine Hinrichtung war brutal und sinnlos, sein Vermächtnis soll es nicht sein.“

200 Kilometer nördlich von Bratislava wurde Kuciak letzten Samstag in Štiavnik zu Grabe getragen. Aus diesem Dorf in den Bergen war er einst aufgebrochen, um in der Hauptstadt die Korrupten des Landes aufzuspüren und ihre Machenschaften offenzulegen. Im Sarg ist er nun dorthin zurückgekehrt. Schon am Tag zuvor war Kuciaks Verlobte in ihrem Heimatort bestattet worden. Sie trug dabei das Brautkleid einer Hochzeit, die nie stattgefunden hat. Der Bischof sprach angewidert von Führern eines Landes, welche eine Atmosphäre geschaffen haben, in der sich das Böse ausbreitet. „Diese Führer tragen nun Mitveranwortung dafür, dass zwei junge Menschen tot sind. Sie sollten in Demut abtreten.“
In einem tief katholisch geprägten Land zählen solche Sätze doppelt und erreichen doch ihre Adressaten nur mit Verzögerung. Mit jedem Tag, der vergeht, verliert der Premier weiter an Legitimität. Neue, noch größere Proteste im ganzen Land stehen an. Und die Hymne des Landes endet hoffnungsvoll: „Schon steht die Slowakei auf und reißt sich die Fesseln nieder.“
Erschienen in NEWS 10/2018