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Der ewige Zar

Eine ganze Generation kennt nur ihn: Wladimir Putin. Russlands Präsident ist der polarisierendste Politiker des Planeten. Den einen gilt er als Dämon, anderen als Messias. Dabei trägt die Wahrheit vor seiner Wiederwahl oft Grau – und selten Schwarz-Weiß

Der Spion, der aus der Kälte kam. Ein Ex-KGB-Agent als Gefahr für die Welt. Russlands Präsident als mächtiger Manipulator. Verantwortlich für den Krieg in der Ukraine, das Grauen in Syrien und aktuell gar einen Giftanschlag auf einen ehemaligen russischen Doppelagenten in England. Ja, selbst daran, dass Donald Trump heute im Weißen Haus sitzt, soll Putin schuld sein. Setzt man so fort, schreibt sich der Rest dieser Geschichte quasi von selbst. Denn Überraschungen sind nicht zu erwarten, wenn Wladimir Putin diesen Sonntag ein viertes Mal an die Spitze Russlands gewählt wird. Bleibt nur die Frage, ob wirklich alles so einfach ist?

Denn 18 Jahre nachdem ein blasser, unscheinbarer Mann, den zuvor nur ausgewiesene Experten kannten, erstmals die politische Bühne Russlands betrat, ist aus Wladimir Putin der polarisierendste Politiker des Planeten geworden. Zuhause, auch aus Mangel an Gegnern, unumstritten, gilt er vielen im Westen als das personifizierte Böse. Seit Jahren baut sich ein Szenario auf, das an die dunkelsten Tage des Kalten Kriegs erinnert. Da wie dort wird wieder aufgerüstet, mit Super-Raketen gedroht, das Militär an den Grenzen trainiert und der Gegner in den grässlichsten Farben gezeichnet. Schon werden Stellvertreterkriege ausgetragen und Ängste vor einer großen Konfrontation geweckt.

Es ist höchste Zeit, dem dominierenden Schwarz-Weiß der Darstellung etwas Grau beizumischen. Daher ein Blick auf das Prinzip Putin in Farbe und fünf Punkten:

Seine Macht

Russland zu regieren, ist schwierig und leicht zugleich. Das Land der elf Zeitzonen, der 9.000 Kilometer zwischen seiner Grenze im Westen und der Küste des Pazifiks, gleicht einem Staat voller Widersprüche. Unermesslich reich an Bodenschätzen, mit den weltgrößten Reserven an seltenen Erden, Erdgas und Kohle. Würde man alles schürfen, ergäbe das einen Wert von 65 Billionen Euro. Was der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung zweier Jahrzehnte entspräche. Und trotzdem ist Russland wirtschaftlich mehr Zwerg als Gigant. 146 Millionen Russen erwirtschaften weniger als 36 Millionen Kanadier oder 50 Millionen Südkoreaner.

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News-Coverstory 11/2018

Als Wladimir Putin im Jahr 2000 an die Macht kam, lag das Riesenreich in Trümmern. Drei Viertel der Menschen wünschten sich, die Sowjetunion hätte nie zu existieren aufgehört. Das demokratische Experiment unter Boris Jelzin hatte dem Land die Verarmung vieler und den unermesslichen Reichtum weniger beschert. Es war eine Zeit, als Russen aus Verzweiflung Fensterputzmittel tranken, weil es selbst für Wodka nicht reichte. Der Staat glich einem Sterbenden, dessen Bevölkerung schwand um eine Million Menschen pro Jahr. Die Zeitungen waren voll von Berichten über zerbröselnde Städte, zerfallende Bomben und eine sich zerfleischende Elite. Putins Versprechen war daher einfach. Es lautete Stabilität. Und Stolz. Der Preis dafür wurde auch rasch klar. Ein Verlust an Freiheit, der Weg zur „gelenkten Demokratie“, wie der Kreml seine autokratische Ordnung bald schönfärberisch nannte. 18 Jahre später ist Putin immer noch da. Sein Russland ist, trotz Krisen, reicher und relevanter als damals.

„In den Augen einer deutlichen Mehrheit hat Putin mit seiner Außenpolitik das Land „von seinen Knien erhoben“ und zu einer beachteten, gefürchteten militärischen Großmacht gemacht“, sagt Gerhard Mangott. Er ist Politikprofessor an der Universität Innsbruck und einer der profiliertesten Russland-Experten im deutschsprachigen Raum. „Für viele Russen löste Putin den als demütigend empfundenen Zusammenbruch der UdSSR als Trauma auf.“ Insofern überrascht es Mangott kaum, dass eine Mehrheit der Russen Putin auch nach 18 Jahren noch als „Stabilitäts- und Ordnungsgaranten“ sieht. Ihn weiterhin als alternativlos erachtet. Dabei war das vor gar nicht allzu langer Zeit noch anders. Der Zar schien angezählt.

Seine Weltpolitik

„Putin ist ein Dieb“, schrien Abertausende Russen rund um seine Wiederwahl vor sechs Jahren. Massendemonstrationen brachten in Moskau bis zu 100.000 Menschen auf die Straßen. Was viel Mut in einem autoritären System erfordert, dessen Gegner nicht wissen, wie viel sie riskieren: nur totgeschwiegen oder tatsächlich getötet zu werden (s. auch Interview Seite 40).

Das System Putin hatte Risse erhalten, die Korruption des ihn umgebenden Clans Grenzen gesprengt und die Wirtschaftskrise eine gerade erst entstandene Mittelschicht erreicht. Der damalige US-Präsident Obama deklassierte Russland als „Regionalmacht“ und Putins Replik beförderte seine Rückkehr.

Er bezichtigte die USA, vor seiner Haustür das fortzusetzen, was schon 2008 im Nachbarland Georgien gescheitert war: das Provozieren von Umstürzen, den Versuch, die Nato bis an die Grenzen Russlands auszudehnen, was am Ende auch sein Regime bedrohen könnte. Putin sah daher nicht weg, als eine in sich gespaltene Ukraine mit dem Aufstand auf dem Kiewer Maidan in Richtung Westen taumelte. Erst brach er Völkerrecht und holte die russisch dominierte Halbinsel Krim heim. Dann schickte er Söldner in den Osten der Ukraine, den Donbass, um dort gemeinsam mit Rebellen Krieg gegen Kiew zu führen.

Beides trieb seine Popularität zuhause dorthin zurück, wo sie einst lag, selbst wenn die Sanktionen des Westens der Preis waren, den er und Russlands Wirtschaft dafür bezahlten. Auch dem Gemetzel in Syrien entzog sich Putin nicht. Er eilte seinem Verbündeten Baschar al-Assad gegen eine von den US-Alliierten Türkei, Saudi-Arabien und Katar finanzierte Rebellion zu Hilfe. Während der Westen vor der Kriegsgräuel zögerte, handelte Putin, schuf Fakten und positionierte Russland als geostrategischen Machtfaktor im Nahen Osten. „Die Bereitschaft Putins, in der Ukraine und in Syrien als vital dargestellte Interessen Russlands auch militärisch durchzusetzen, gilt vielen dort als Ausdruck des neuen Status als Großmacht“, analysiert Mangott. Das Risiko und die Kosten der militärischen Intervention in der Ferne, sicherten Putin letztlich die Macht daheim in Moskau. Und machten ihn zum Feind vieler.

Seine Dämonisierung

Das mediale Trommelfeuer gegen Putin liest sich so ähnlich wie eine kürzlich erschiene Stellenausschreibung für den Job des Moskau-Korrespondenten beim angesehenen amerikanischen „Wall Street Journal“. Die darin erwarteten Qualifikationen entsprachen eher dem Profil eines Anti-Putin-Aktivisten als dem eines Journalisten. Bezeichnenderweise galten Russisch- Kenntnisse nicht als zwingende Voraussetzung, sondern bloß als „Vorteil“. Entsprechend einseitig fällt auch die Berichterstattung aus.

Bildschirmfoto 2018-05-12 um 16.08.13Selten geht es darum, die tieferen Gründe für Putins Popularität zu erkunden, sondern vielmehr mit schönen Worten das darzustellen, was politisch opportun wirkt. Gerade seit die Amerikaner vermuten, Putin habe die Wahl Donald Trumps durch Internet-Trolle in St. Petersburger Hinterhöfen erst herbeigeführt, wird mancher Bericht zu bloßer Propaganda. „Das glauben vielleicht die Hausfrauen, die Ihre Sendung schauen“, entgegnete Putin daher vor wenigen Tagen im US-TV spöttisch. Megyn Kelly, Starreporterin des Senders NBC, war für ein Interview zu ihm in den Kreml gereist. Und wirkte dort dann doch etwas frappiert, als ihr Putin entgegnete, nicht er rüste auf, um die USA zu bedrohen, sondern reagiere vielmehr auf deren Rückzug aus Waffensperrverträgen. Kellys kecke Sticheleien lächelte er fortan weg, lenkte ab, wenn es brenzlig wurde, und stellte sie als Propaganda-Gläubige bloß. Das stark gekürzte Interview wirkte im Vergleich zur Langfassung, die die Russen später online stellten, durch entsprechende Einspieler sehr auf Konfrontation gebürstet.

Putin, so die Botschaft an die Amerikaner, ist die neue Bedrohung aus dem Osten. Dass das US-Militärbudget das Zehnfache des russischen beträgt, blieb als Information daher lieber ausgespart. „Putin wird im Westen dämonisiert, um das Verhalten des russischen Führung als grundsätzlich „böse“ darzustellen“, sagt Experte Mangott, „als Ergebnis eines ruchlosen, kaltblütigen, brutalen und berechnenden Akteurs.“ Die Konsequenz daraus ist einfach und dienlich: „Mit einem Dämon ist ein Dialog nutzlos. Mit ihm kann es keinen Interessensausgleich geben. Man kann ihn nur ausmerzen, einhegen oder abschrecken.“

Seine Propaganda

Doch, was US-Medien können, vermögen russische schon lange. Gerade, wenn an der Spitze des Staates ein Mann steht, der in seinem ersten Leben ein KGB-geprüfter Experte für Desinformation war. Zweifel zu wecken, eine bestimmende Erzählung in Frage zu stellen und Gegenteiliges, oft auch ohne Beleg, zu behaupten, zählt zum Standardwerk der russischen Staatspropaganda. Das wirkt nach innen, indem Putins eingelöstes Versprechen der Stabilität und des Stolzes mannigfach wiederholt wird. Und die angedrohte Alternative zu ihm, eine Revolution und das auf sie folgende Chaos, grellste Darstellung findet. Wo das ende, so das Staatsfernsehen, kann jeder in der Ukraine nach dem Maidan-Aufstand eingehend studieren.

Es wirkt aber auch nach außen. Ein Netzwerk an Kreml-Kanälen, wie das Auslands-TV RT (Russia Today) und die Online-Plattform Sputnik, stellt gezielt die Berichterstattung der dominierenden Medien des Westens in Frage. Zu Schlüsselfragen der Weltpolitik tobt daher längst ein Propagandakrieg. Die Wahrheit gerät dabei auf beiden Seiten unter die Räder – ganz gleich, ob in Syrien oder wie zuletzt beim Giftanschlag in England. Auch ein Thema wie die Zuwanderung und die daraus entstehenden Probleme, welche von manchen westlichen Medien aus falsch verstandener Toleranz gern ausgeblendet werden, erfreut die Kreml-Propagandisten. Und in Folge rechtsnationale Parteien quer durch Europa, die sich als Verbündete Putins betrachten. Denn Russlands ewiger Zar hat längst viele Verehrer im Westen gefunden. Sie reichen von Frankreichs Marine Le Pen, über die heimische FPÖ, bis zu Viktor Orbán nach Ungarn. Alle zehren sie davon, dass der Glanz Putins als Outlaw der Weltpolitik auf sie abfärbt und dessen Dämonisierung sie darin nur bestärkt.

Die Darstellung Russlands in Schwarz-Weiß hat selbst die Wissenschaft schon erreicht. Gerhard Mangott beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten eingehend mit dem Land und ist erschrocken von den Folgen auf seine Zunft, die mitunter die nüchterne Analyse durch wissenschaftlichen Aktivismus ersetzt: „In einer solchen Situation gehen die Politik, aber eben leider auch die Medien, zu einer Haltung über, den Forscher zu fragen: Bist Du für oder gegen uns.“ Auf Wissenschafter würde außerhalb der Universitäten der Druck steigen, dieser Haltung zu entsprechen, da eine genehme Sicht auf Russland auch der eigenen Karriere nicht abträglich ist. Mangott sei aber völlig gleichgültig, wer Russland regiert. Vielmehr versucht er, das Handeln von dessen Führung analytisch einzuordnen. Genau das ist im aufgeheizten Klima besonders wichtig, fällt ihm aber nicht immer leicht: „Der Druck, zu bewerten und zu verurteilen, wird immens. Ich will mich dem nicht fügen, leide aber an den Verdächtigungen gegenüber meinen Ansätzen, und daran als Handlanger oder gar Komplize der „Anderen“, in unserem Fall der Russen, bezichtigt zu werden.“ Umso vielsagender und alarmierender erscheint es daher, dass der arrivierte Wissenschafter nun gar darüber nachdenkt, von Russland als Forschungsgegenstand abzukehren. Das Land bliebe dann denen, die zwar kaum Expertise, dafür  aber umso mehr Meinung haben.

Was fehlt, ist die Exit-Strategie, der Ausweg für die immer heißgelaufeneren Beziehungen zu Putins Riesenreich. So sehr es Russland an einem Plan P mangelt, also dem, was nach Putin kommen wird, wenn dieser am Ende seiner vierten Amtszeit abtritt, so wenig weiß auch die Welt, wie sie mit ihm bis dahin umgehen soll. Wladimir Putin wird im Jahr 2024, wenn es denn soweit ist, 71 Jahre alt sein. Und damit immer noch ein Jahr jünger als Donald Trump heute.

Erschienen in NEWS 11/2018

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