TRANSNISTRIEN. Lenin-Büsten, Russendisko und Sowjetnostalgie. Zu Besuch im ,schwarzen Loch‘ am Rande Europas.
Das österreichische Außenministerium warnt auf seiner Homepage: „Von Reisen in das Gebiet jenseits des Dnjestr wird ausdrücklich abgeraten. Insbesondere sollte von der Einreise nach Transnistrien aus Richtung der Ukraine kommend abgesehen werden, da an den Grenzübergängen keine Kontrollen durch moldawische Behörden erfolgen und somit riskiert wird, von diesen Behörden als illegal Eingereister angesehen zu werden. Da es sich bei Transnistrien um keinen völkerrechtlich anerkannten Staat handelt, gibt es auch keinerlei Vertretungsbehörden in Österreich.“
In der schwülwarmen Luft tauchen kurz nach Passieren der ukrainischen Grenze Betonsperren hinter Stacheldraht auf. Am Horizont zeichnen sich auf einem Hügel erste Plattenbauten ab. Dort oben liegt Transnistrien. Und hier unten stehen dessen Zöllner – Soldaten in grün-braun gefleckten Kampfanzügen, die die Grenze eines Landes bewachen, das es offiziell gar nicht gibt, nicht geben darf, das auf keiner Landkarte auftaucht und für das kein Visum erhältlich ist. Und doch fällt die Kontrolle durch den Mann, dessen Goldzahn mit der Rolex an seinem Handgelenk um die Wette glänzt, durchaus real aus.
Ausländer habe er selten hier, meint er, lacht ein bisschen, fordert aber keinen Beitrag für die nächstanstehende Zahnvergoldung ein, sondern lässt weiterfahren. Hinein in ein Land, das sich über mehr als 200 Kilometer den Dnjestr entlangschlängelt, eingequetscht zwischen der Ukraine und Moldawien liegt, in dem knapp über eine halbe Million Menschen leben und das an manchen Stellen kaum breiter als fünf Kilometer ist.
In ein Land, das vor 18 Jahren, als die Sowjetunion zu zerfallen begann, seine Unabhängigkeit erklärte. Aus Angst der mehrheitlich russischsprachigen Bewohner, Moldawien könnte sich Rumänien anschließen und für sie würde die Losung der dortigen Nationalisten, „Koffer – Bahnhof – Moskau“ Wirklichkeit werden. Seither gibt es die Pridnestrowische Moldawische Republik (PMR), wie sie sich selbst nennt, und seither hat sie kein einziger Staat anerkannt – nicht einmal Russland.
Doch nach dem Krieg um Abchasien und Südossetien, bislang ebenso Separatistenstaaten wie die PMR, hofft man nun auf ein Ende der Ächtung.
Nordkorea: Auf dem Feld genauso wie am Handy.
Die Fahrt geht über die kaum befahrene Hauptstraße in Richtung Tiraspol. Rechts und links Felder, auf denen ganze Arbeiterbrigaden die Apfel- und Kartoffelernte händisch einbringen.
Das Handysignal wird schwächer, das Roaming aus dem moldawischen Netz weist kaum noch Empfang auf. „GSM kannst du hier vergessen“, sagt Fahrer Sascha, „die Moldawier blockieren es, also haben wir unser eigenes Netz, etwas, das es sonst nur in Nordkorea gibt.“ In der Tat funkt Interdnestrcom auf einer 800-MHz-Frequenz, die Einheimischen mit Handys aus Fernost Telefonieren im Land ermöglicht, Anrufe ins Ausland aber – die Führung dankt – ausschließt. Und Ausländer – sie und ihre Handys sind endgültig im schwarzen Loch Europas angekommen.
Dafür grüßt der Sowjetstern an der Einfahrt in die Hauptstadt Tiraspol, die mit 160.00 Einwohner etwas größer als Salzburg ist. Statt Mozart gibt es hier Lenin – ob aus rotem Granit gehauen wie beim Präsidentenpalast, als monumentale Büste vor dem Obersten Sowjet oder als schlichter Straßenname an der Kreuzung mit der Karl-Marx-Allee. Im Hotel wird bei den Zimmerpreisen rasch klar, wer Freund und wer Feind ist: Abchasier und Südosseten zahlen, sofern sie denn kommen, die Hälfte, Georgier hingegen gleich das Dreifache.
Tiraspol: Zwischen Lenin-Büste und Marx-Allee.
Alle weckt morgens jedoch gleichermaßen Parademusik. Heute, am 2. September, wird gefeiert, 18 Jahre PMR stehen auf dem Programm: Grenadiere, Gardisten und Kadetten marschieren auf dem zentralen Platz im Stechschritt auf und ab. Es gilt, militärische Stärke zu zeigen – den Moldawiern, damit diese erst gar nicht wieder daran denken, die abtrünnige Republik heimzuholen. So wie sie es im Sommer 1992 versuchten, als mehr als 1.000 Menschen bei den Kämpfen ums Leben kamen. Aber auch den Russen, „denn Russland war hier, ist hier und wird immer hier sein. Es ist der Garant unseres Fortbestehens“, wie der Präsident später, bei seiner Ansprache, ins Volk rufen wird. Und so Unrecht hat der Präsident – ein ehemaliger Kombinatsdirektor namens Igor Smirnow, der seit Bestehen der Republik Mal für Mal von seinen Bürgern mit schönen Wahlergebissen jenseits der 80 Prozent in seinem Amt bestätigt wird – gar nicht.
Denn Russlands Premier Wladimir Putin, immer noch der starke Mann in Moskau, hat Moldawien davor gewarnt, „denselben Fehler wie Georgien zu begehen.“ In der Tat verfügt ein Fünftel der Transnistrier über einen russischen Pass – denn so schön der eigene auch sein mag, weiter als die fünf Kilometer bis zur Grenze kommt man mit ihm nicht.
Gleiches gilt für die transnistrischen Rubel, die im neuen Gebäude der Nationalbank fleißig gedruckt werden. Nachdem vor ein paar Jahren drei Nullen einer allzu horrenden Inflation zum Opfer fielen, freut man sich nun über Preisstabilität und zahlt die Löhne, die im Durchschnitt 100 Euro im Monat betragen, pünktlich aus.
Russendisko: Knappe Minis, volle Kassen
Wie angesichts solcher Einkünfte abends in der Disco „Plazma“ mit knappen Minis bekleidete Mädchen den Kauf von Energy-Drinks aus dem Alpenland à la drei Euro finanzieren, bleibt dennoch ein Rätsel. Dort dröhnt die Musik, die aus Moskau kommt, auf ein Publikum ein, das sich genauso gut in Mailand oder Madrid befinden könnte. Die brave Pionierin, die untertags noch die rote Fahne schwang, schwingt nun die Hüften im hautengen Catsuit. Bizarr?
Nicht in Transnistrien, einem Land, das auf den ersten Blick wie in der kommunistischen Zeitkapsel stecken geblieben scheint, dann aber die KP in die Opposition verbannt, während sie im benachbarten Moldawien den Präsidenten stellt. Dort, auf der anderen Seite des Dnjestr, vermuten die Transnistrier auch den Ursprung „der Lügen, die über unser Land verbreitet weden“, wie Vadim, Moderator beim staatlichen Radio, sagt: „Sie behaupten, wir seien Schmuggler oder arme Schlucker, dabei sind sie es, die ihren Staat trotz internationaler Anerkennung, seit seinem Bestehen immer tiefer in den Abgrund stürzen.“
Sheriff: Turbokapitalist im Sozialistenparadies
Ähnlich sieht es Vladimir Yastrebchak, der NEWS zum Interview bittet. Er ist zwar Außenminister, doch kann er kaum irgendwo hinfahren, denn für ihn gilt, so wie auch für alle anderen Regierungsmitglieder, ein Einreiseverbot in die EU-Staaten. Trotzdem wirkt er nicht verbittert, sagt, „dass wir, solange uns Moldawien nicht als gleichwertigen Verhandlungspartner betrachtet, weiterhin unsere Unabhängigkeit und eine eventuell spätere Eingliederung in Russland verfolgen.“ Er versteht auch nicht, weshalb die EU dem Kosovo die Unabhängigkeit zugestand, „mit uns aber nicht einmal spricht.“
Besonderen Drang zur Kommunikation verspürt man ebenso wenig beim transnistrischen Konzern Sheriff. Dessen gelber Stern scheint den roten im Land langsam abzulösen. Sheriff, das ist TV, genauso wie Tankstellen, Banken, Spielcasinos und Supermärkte – und zwar flächendeckend, womit Sheriff fast so omnipräsent ist wie die Miliz auf den Straßen.
Vor den Toren Tiraspols haben die Konzernherren vor die zerbröselnden Plattenbauten ein höchst modernes Fußballstadion mit feinstem englischem Rasen, überdachter Trainingshalle und acht Außenanlagen gepflanzt. So verwundert es nicht, dass der FC Sheriff Jahr für Jahr die weiterhin mit Moldawien gemeinsam ausgetragene Meisterschaft gewinnt. Deren Nationalkicker müssen zu Länderspielen übrigens nach Tiraspol fahren – denn das einzige UEFA-taugliche Stadion steht in der abtrünnigen Republik Transnistrien.
Die komplette Transnistrien-Reportage zum Downloaden
(Erschienen in NEWS 37/08)