BERLUSCONIS ALPTRAUM. Wenn er ruft, kommen Millionen. Starkomiker Beppe Grillo mischt Politik und Mächtige auf.
Es ist Parteitag und alle lachen, johlen und jubeln frenetisch. Der Parteichef, ein dicker bärtiger Bär von einem Mann, läuft auf der Bühne auf und ab, fuchtelt, gestikuliert und lechzt nach Luft. Er hat sich in Rage geredet. Wieder einmal. „Einer von acht Parlamentariern in Rom ist ein verurteilter Krimineller“, brüllt er ins Auditorium hinein und macht eine kurze Pause, damit sich das Gehörte setzen kann: „Einer von acht ein Ganove! Selbst in den dunkelsten Vierteln von Neapel, dort, wo die Mafia das Sagen hat, ist nur einer von 15 kriminell!“
Italiens Michael Moore. Bitteres Lachen. Lachen, das im Hals stecken bleibt. So wie es bei Beppe Grillos Späßen oft der Fall ist. Der Mann ist Italiens erfolgreichster Komiker, ein Star, eine lebende Legende, einer der den Finger in die blutenden Wunden des Landes legt und dafür vom Volk geliebt wird. Auch, weil er unparteiisch ist, und das in Italien, wo selbst die leichtbekleideten Tänzerinnen aus dem TV entweder für Berlusconi oder seine Gegner steppen.
Grillo, heute 61, flog schon früh vom Schirm, erhielt Auftrittsverbot in der RAI und zog fortan mit seinen Shows quer durchs Land, füllte ganze Arenen mit Menschen, die hören wollten, was er im Fernsehen längst nicht mehr sagen durfte. Über die unverfrorenen Politiker, die sich schamlos bedienen, sich selbst und den Mafia- Bossen passgenaue Gesetze zimmern, Giftmüll vor der Küste versenken und darüber Brücken ins Nirgendwo bauen.
Er wurde zu Italiens Antwort auf Michael Moore, zu einem, der anprangert, was im Land alles falsch läuft und da es davon reichlich gibt, wurde bald die Forderung lauter, er solle selbst zeigen, was er könne. „Nein, nein, ich bleibe lieber der Clown“, wehrte Grillo lange ab. Doch nun soll sich das in Mailand ändern – Grillo gründet seine Bewegung. Er wird betätschelt und umringt, als er sich dem Theater Smeraldo nähert. Schulterklopfen, zugehauchte Küsse und erstaunte Blicke ob der Wahrhaftigkeit des Witzekönigs. Grillos Popularität liegt irgendwo zwischen Hoffnungsträger und Heiligem.
Der Millionen-Blog. Ein Heiliger mit höchst irdischer Internetpräsenz wohlgemerkt: Sein Blog http://beppegrillo.it verzeichnet mehr als eine Million Aufrufe pro Woche und zählt damit zu den zehn erfolgreichsten Seiten weltweit. Und im Netz liegt auch Grillos Kraft. Dort veröffentlichte er die Namen korrupter Politiker oder rief seine Fans schon mal dazu auf, böse Konzerne mit Tausenden von E-Mails zu bombardieren. Doch dabei blieb es nicht.
Die virtuelle Welt wurde real, als Grillo vor zwei Jahren 1,5 Millionen Menschen mobilisierte, um auf den Plätzen Italiens für ein „sauberes Parlament“ zu protestieren. Eine Bewegung war geboren, so genannte Meet-Ups entstanden, in denen sich binnen weniger Monate fast 80.000 Menschen organisierten, um auf lokaler Ebene über anstehende Probleme zu debattieren und Druck auf die örtlichen Politiker auszuüben.
Bloß Italiens Medien schwiegen, belächelten Grillos Bewegung und „brauchten selbst Jahre, um am Ende zehn Fragen zu formulieren, die sich mit Berlusconis ‚pipino‘ befassen, während seelenruhig Steueramnestien erlassen werden, mit denen die Mafia Milliarden legalisiert“, wie Grillo in Mailand nun anprangert.
Angriff auf den ,Cavaliere‘. Mailand, das ist Silvio Berlusconis Stadt, hier haben seine Fernsehsender ihren Sitz, hier laufen die Fäden seines Imperiums zusammen, das ihn laut dem Magazin Forbes mit knapp zehn Milliarden Dollar zum reichsten Mann Italiens gemacht hat. Von Mailand aus will Grillo den Angriff auf den Mann starten, den er selbst nur noch „den Pädo- Psychozwerg“ nennt und der für ihn bloß die jüngste Ausgeburt eines „hochgradig korrupten und verfilzten Systems“ darstellt (siehe Interview).
Nachdem die Verfassungsrichter in der Vorwoche Berlusconis Immunitätsgesetz kippten, muss sich der „Cavaliere“ bald erneut dem Richter stellen. Die Liste der Anklagepunkt ist lang und reicht von Korruption über Steuerhinterziehung und Bilanzfälschung, bis hin zu illegaler Parteienfinanzierung und Meineid. Es ist all das, wogegen Grillo und seine Mitstreiter kämpfen. „Das, und vieles, von dem wir glauben, dass es unsere Welt besser macht, sie aber am Ende ruiniert – oder brauchen wir wirklich immer mehr Autobahnen, um immer schneller, immer mehr Kühe aus Holland zum Schlachten nach Sizilien zu karren und wieder retour?“
Grillo schnauft, Grillo schreit, Grillo schwitzt. Messiasgleich steht er im weißen Hemd unter dem Scheinwerfer, ist längst nicht mehr Kabarettist, aber auch noch lang kein Politiker. Er verliest das Parteiprogramm – verfasst von Experten für Umwelt und Ökonomie, für Bildung und Gesundheit. Grillos Erläuterungen dazu liefern alle paar Minuten einen Lacherfolg, der jeden anderen Parteiführer neidisch machen würde. Aber ist er ein solcher überhaupt? „Führer?“, prustet Grillo los, als er die Frage hört, „nein, nein, den Führer überlass‘ ich dann lieber euch Österreichern!“
(Erschienen in NEWS 41/09)