Er ist vier Milliarden Euro reich und will nächster Premier unseres Nachbarlandes werden. Andrej Babis und eine Story über Geld, Sex, Macht, Lügen, Korruption und große Politik am Wendepunkt Europas
Ganz zeitig in der Früh hat er schon vor einer Prager Metrostation Krapfen verteilt. Jetzt, zu Mittag, sponsert er hundert Kilometer weiter südlich Würstel. Und als dort die Wolken aufreißen und den Hauptplatz der Kreisstadt Jihlava in Mähren in warmes Licht tauchen, steigt auch er aus der Limousine: Andrej Babiš. Beiger Rollkragenpulli, schwarzes, abgetragenes Sakko, 63 Jahre alt. Würde man es nicht wissen, ließe sich kaum erahnen, dass da gerade der zweitreichste Mann Tschechiens die Bühne betritt. Einer, dessen Vermögen über vier Milliarden Euro beträgt, womit er in derselben Liga wie Donald Trump spielt.
Weitere Parallelen zum US-Präsidenten tun sich auf, sobald Babiš zum Mikrofon greift. Die Politiker, das seien doch nur „Marionetten“, „Versager, die das Land ausrauben und dabei nicht einmal Englisch können.“ Daher brauche es ihn, den Selfmade-Man, den Outsider, den, der ihnen allen einheizt. Der auf den Tisch haut, offen sagt, was Sache ist und ausspricht, was andere nicht einmal zu denken wagen.
Babiš hat ein Büchlein mitgebracht, das er Hunderttausende Male drucken ließ und nun an die mit Würstel Gesättigten verteilt. „Worüber ich träume, wenn ich denn einmal schlafe“, nennt der Workaholic seine Vision für Tschechien, die er auf 280 Seiten ausbreitet. „Am Anfang habe ich gezweifelt, ob mich jemand wählen wird: einen gebürtigen Slowaken, der komisch Tschechisch spricht. Einen, der eine Zeitlang in der ‚Partei‘ war, und der noch dazu reich ist. Kompletter Unsinn. Erst als ich bei den Wahlen 2013 Zweiter wurde, begriff ich wirklich, wie frustriert die Menschen von einer Politik sind, die die Parteien für sich und ihre Freunde privatisiert haben.“
Babiš gründete folgerichtig – noch bevor es einen Macron in Frankreich gab und auch kein Kurz in Wien das Wort kannte – eine „Bewegung“. Seine nennt sich Ano, was auf Tschechisch „Ja“ heißt und auch als Abkürzung für die Aktion verärgerter Bürger steht und die wirbt mit, „Ja, es wird besser.“ Wenn es nach Babiš geht, schon diesen Samstag, an dem Tschechien ein neues Parlament wählt und er in allen Umfragen mit großem Abstand vorne liegt.
Wer ist dieser Mann also? Ein Berlusconi, ein Trump, ein Pate, wie man in Prag hinter vorgehaltener Hand flüstert? Gar eine Gefahr für die Demokratie, für Europa und ein Wegweiser in eine neue, dunklere Zeit, in der er sich mit Ungarns Orbán zu Putin neigt, wie viele schon fürchten? Oder doch der Visionär, als der er sich gibt, der Pragmatismus in die Politik bringt und Erfolg damit hat, den Staat wie eine Firma zu führen, was er im Stil Trumps gerne predigt. Wer ist dieser so unermesslich reiche Mann wirklich, der in Jihlava gerade den Nachbarn von nebenan spielt. Auf Schultern klopft, mit Bauernschläue Witze macht und dabei so spricht, als wäre er der Knecht auf einem seiner eigenen Felder?
Das böhmische Paradox
„Er ist meine letzte Hoffnung“, sagt eine Frau in ihren späten Sechzigern, der 8000 Kronen oder 320 Euro Pension im Monat bleiben. Sie ist davon überzeugt, dass ein Multimilliardär ihre Interessen künftig am besten vertritt. „Denn der hat schon genug, der braucht uns nicht mehr auszurauben.“
Prag ist reicher als Wien, Tschechien hat mit 2,9 Prozent die niedrigste Arbeitslosigkeit in der EU, die Wirtschaft schnurrt – und der Frust steigt. Es ist ein böhmisches Paradox, das einen Teil des Erfolgs von Babiš erklärt. Denn obwohl der Wohlstand in Zahlen wächst, tröpfelt er außerhalb der Hauptstadt nur spärlich zum Volk durch. So erst verfängt der Vorwurf, die Politiker seien unfähige Versager, die Schuld daran hätten. Tatsächlich hat sich Tschechiens politische Klasse zuletzt nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Eine Korruptionsaffäre jagt die nächste, ein Rücktritt folgt dem anderen. Der letzte Premier etwa musste gehen, nachdem die Büroleiterin, die gleichzeitig auch seine Geliebte war, den Militärgeheimdienst beauftragt hatte, die Noch-Ehefrau ihres Schatzes zu beschatten. Teure Geschenke, Sex im Vorzimmer des Premierpalastes, auf den der Gang ins Gefängnis folgte. Die schlüpfrige Geschichte füllte über Monate die Titelblätter und fiel in die Zeit, in der ein gewisser Herr Babiš wieder einmal wenig Schlaf fand.
Jaroslav Kmenta weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll, wenn er Babiš‘ Inszenierung als Mann mit der einzigen weißen Weste Tschechiens verfolgt. Kmenta ist der führende Investigativjournalist des Landes und Babiš seit zwei Jahrzehnten auf den Fersen. Diesem gehören heute mehr als 230 Firmen in der Agrarindustrie, der Lebensmittelproduktion und der Petrochemie, in denen er 35.000 Menschen beschäftigt. „Der Aufstieg gelang, weil Babiš ein Vertreter alter kommunistischer Strukturen war. In den 90er-Jahren nutzte er diese für sich bei der wilden Privatisierung staatlichen Eigentums durch Lobbying hinter den Kulissen und Verbindungen zu geheimen Freunden in der hohen Politik“, legt Kmenta dar.
Der Boss von Prag
Es waren Zeiten, in denen nicht lange gefackelt wurde. Politik und Business gingen eine Symbiose ein, die oft bis in die Unterwelt des Verbrechens reichte. Deren Könige residierten in Villen rund um Prag, hielten sich schon mal Haie oder Tiger als Haustiere und schreckten auch vor Mord nicht zurück. Babiš, im Kommunismus im Außenhandel tätig, bestreitet, auch ein Agent der Staatssicherheit gewesen zu sein. Unbestritten bleibt hingegen, dass er ein Mann mit besten Kontakten war, der nach der Wende rasch nach oben strebte und zum Boss wurde, der bald keine Gegner mehr zu fürchten brauchte. „Sein Freund war der damalige Innenminister der Sozialdemokraten“, sagt Kmenta, „die Polizei begann in für Babiš relevanten Branchen gegen Unternehmergruppen zu ermitteln, sodass er mit der Zeit jegliche Konkurrenz verlor.“ So konsolidiert, wagte er den Sprung ins Ausland und stieg mit seiner „Agrofert“-Holding auch in Deutschland groß ins Geschäft ein.
Im Jahr 2013 lieferte er das Husarenstück und erwarb die zwei größten Zeitungen und den meistgehörten Radiosender des Landes. Kurz darauf wechselte er in die Politik, wurde bei den Wahlen Zweiter und Finanzminister. Für Kmenta ist Babiš damit ein „Pate“: „Das sind Leute mit großer Machtkonzentration in der Politik, dem Business und deren Graubereichen. Einst tummelten sich solche bei der bürgerlichen ODS, heute ist Babiš von ihnen allen der größte, mächtigste und reichste. Ein Medienmagnat, Politiker und Milliardär.“
Ein Berlusconi und Pate
Das, wovon ein Trump nur träumt, wenn er den verhassten „Fake News“-Sendern am liebsten die Lizenz entziehen möchte, ist bei Babiš Wirklichkeit geworden. Auch wenn er sich selbst bescheiden gibt und jegliche Einflussnahme bestreitet, wissen Journalisten seiner Blätter, die freiwillig kündigten, anderes zu erzählen. Wie das funktioniert, ließ zuletzt die „Causa Beretta“ erahnen. Dabei ging es um Akten von Polizeisondereinheiten zur Korruptionsbekämpfung. Gegen Geld sollen sie an Journalisten gelangt sein. Die Papiere enthielten kompromittierendes Material über die Sozialdemokraten und die Bürgerlichen, also Babiš‘ Gegner. Durch einen anonymen Twitter-Account gerieten Tonaufnahmen an die Öffentlichkeit, die Treffen zwischen einem Journalisten der Zeitung „Dnes“ und deren Eigentümer Babiš belegen. Babiš soll dem Reporter eingeschärft haben, das „Kompromat“ noch zurückzuhalten und zeitgerecht zum Parteitag der Sozialdemokraten auszuspielen.
Die EU im Storchennest
Ungemach bereitet Babiš seither auch eine weitere Causa, die an einem Ort spielt, den er gut kennt. Im Storchennest, einem von seiner Holding errichteten Wellness-Komplex unweit Prags, hatte er im Sommer geheiratet. Seine um zwanzig Jahre jüngere Frau Monika befüllte die sozialen Medien mit schönen Fotos des pompösen Festes. Und dann das unschöne Erwachen: Betrugsverdacht. Babiš soll beim Bau der Anlage EU-Fördergelder für Kleinunternehmer bezogen und dies über undurchsichtige Firmenkonstruktionen verschleiert haben. Nachdem er schon im Juni als Finanzminister wegen anderer Steuerbetrugsvorwürfen aus der Regierung geflogen ist, wurde nun auch seine Immunität aufgehoben, um ihn anklagen zu können.
„Da ist nichts dahinter“, verteidigt sich Babiš in Jihlava, als ihn News darauf anspricht und reagiert rasch gereizt. „Das sind alles alte Sachen, die jetzt hervorgekramt werden, weil sie mich fürchten. Schluss.“ Diskussionen sind seine Sache nicht unbedingt, der Austausch mit Andersdenkenen nervt ihn schnell. Der Boss ist eben der Boss und hat lieber das letzte Wort. Wenn da nicht noch der Wähler wäre. Medial hilft Babiš, dass seine Blätter all die Causen eher aussparen und die Tschechen der vielen Skandale müde sind.
Der rassistische Japaner
Zudem ist der Unmut gegen „Systemparteien“ wie die Sozialdemokraten und Bürgerlichen derart groß, dass sie in Umfragen gerade einmal auf jeweils über zehn Prozent kommen. Babiš hingegen setzt auf „Wahrheiten“ und wirft den EU-Granden gern ihre eigene Heuchelei vor: Bei Menschenrechten, wo sie gegen Polen vorgehen, aber zu Erdogan schweigen. Bei der Migration, wo Verteilungsquoten für Flüchtlinge nur verdecken sollen, dass der Schutz der Außengrenzen gescheitert ist. Unbefangen spricht Babiš Offensichtliches an, während andere umständlich ausweichen. Oft klingt das wie bei Viktor Orbán, ein wenig auch nach Sebastian Kurz, für den er voll des Lobes ist (s. Interview).
Europa ist am Scheideweg angelangt. Gewinnt Babiš wie zu erwarten die Wahl, bieten sich ihm radikalere Protestparteien als Koalitionspartner an. Einer davon steht Tomio Okamura vor. Ein rassistischer Tschecho-Japaner, der auf das Übelste gegen „Parasiten“ und „Islam-Terroristen“ hetzt und mit Straches FPÖ verbündet ist. Wird dann im Jänner auch noch der alternde Präsident Miloš Zeman wiedergewählt, befürchtet Aufdecker Kmenta Schlimmstes: „Das wäre das Ende der Ära, die 1989 mit Václav Havel begonnen hat. Mit Babiš und Zeman an der Spitze, würde Tschechien zu Russlands Operationsfeld mit eingeschränkter Meinungsfreiheit und zur Gefahr für Europa.“
Es ist schon dunkel, als Babiš Jihlava verlässt. Hinter ihm liegt ein anstrengender Tag, an dem er seine Rolle perfekt gespielt hat. Vor ihm alles oder nichts.
Erschienen in News 42/2017