BIN LADEN INSIDE. Sein Vater, der Terrorist und Massenmörder. Jetzt spricht Omar Bin Laden, 28.
Seine Stimme klingt sanft, sein Gemüt wirkt ruhig, doch schon das bloße Aussprechen seines Namens reicht aus, um zu erschaudern: Omar bin Laden, Sohn des meistgesuchten Mannes der Welt. Noch nie wurden Details aus dem Familienleben des Terrorpaten bekannt, keiner konnte bislang auch nur erahnen, wie es bei den Bin Ladens zuhause zuging. Der 28-jährige Omar bricht nun das Schweigen. Im Exklusivinterview mit NEWS erzählt er von seiner bizarren Kindheit, dem Aufwachsen zwischen Gotteskriegern und Kalaschnikows. Osamas Sohn gibt Einblick in den Hass seines Vaters und erinnert sich an sein eigenes Erwachen am Tag nach dem 11. September …
News : Sie sind Osamas viertältester Sohns, wuchsen mit einer Vielzahl von Geschwistern auf. Wie erzog Sie Ihr Vater?
Omar bin Laden: Er war sehr streng. Eine meiner ersten Erinnerungen geht zurück zu der Zeit, als er in Afghanistan gegen die Sowjets kämpfte. Er kehrte oft monatelang nicht heim, und als er endlich da war, saß er im Wohnzimmer über ausgebreiteten Karten. Ich war damals ein kleiner Bub, der nichts mehr wollte als die Aufmerksamkeit seines Vaters, also lief ich vor ihm herum, hoffte, dass er mich beachten würde. Plötzlich stand er auf und sagte, ich solle meine Brüder holen.
News: Was geschah danach?
Bin Laden: Ich freute mich, dachte, er würde nun mit uns allen spielen. Doch wir mussten uns in einer Reihe aufstellen, und er begann mit seinem Spazierstock auf uns einzuschlagen. Danach lief ich weinend zu meinen Pferden. Es war die erste von vielen Prügeln, die noch folgen sollten.
News: Überlebenstrainings in der Wüste zählten auch zur Erziehung. Wie lief das ab?
Bin Laden: Seine Söhne sollten so werden wie er – stärker, gestählter und ausdauernder als alle anderen Männer. Wir liefen stunden-, ja tagelang ohne Wasser durch die Wüste, bis wir unsere Beine nicht mehr spürten. Unsere Kehlen waren so trocken, dass das Atmen weh tat. Mein Vater genoss es, an seine Grenzen zu gehen, und erwartete dasselbe von uns, doch wir hassten, was er tat.
News: Sie sind ein Zeuge des Entstehens von al-Qaida, waren selbst in den Terrorcamps Ihres Vaters und lernten seine Gotteskrieger kennen. Wer sind diese Männer?
Bin Laden: Es sind Männer, die getrieben sind von Hass, von Hass auf den Westen, von Hass auf die Juden und insbesondere auf Amerika. Diese Männer sind überzeugt davon, dass es ihre Pflicht als Muslime ist, im Heiligen Krieg, dem Jihad, zu kämpfen und so dem Islam zu dienen. Gerade bei den jüngeren Kämpfern in den Ausbildungscamps hatte ich den Eindruck, dass sie vor etwas in ihrer Vergangenheit davonliefen.
News: Sie wuchsen inmitten all dieses Hasses auf. Wie gelang es Ihnen, der Gehirnwäsche zu entgehen und von diesem Hass nicht infiziert zu werden?
Bin Laden: Ich weiß es selbst nicht genau. Nach einem versuchten Anschlag auf ihn, nahm mich mein Vater aus Sicherheitsgründen im Alter von zwölf von der Schule. Fortan erhielt ich nur noch religiösen Unterricht zuhause. Irgendwann begann mir mein Herz aber zu sagen, dass das Leben, welches mein Vater gewählt hatte, nicht zu meinem werden durfte. Schon immer litt ich, wenn ich andere Menschen oder auch Tiere leiden sah. Vielleicht schenkte Gott mir das, was wir als Empathie bezeichnen. Ich könnte nie etwas tun, was anderen Menschen Schmerz zufügt – egal ob physisch oder mental.
News : Das Leben an der Seite von Osama bin Laden glich einer Odyssee, die Sie und Ihre Familie schließlich nach Afghanistan führte. Sie waren 19 Jahre alt, als Sie im Frühling des Jahres 2001, wenige Monate vor dem 11. September, das Land verließen. Ließ Sie Ihr Vater so einfach ziehen?
Bin Laden: Ich kannte bis dahin nur ein Leben – und das war jenes in einer Großfamilie, mit vielen Geschwistern und Tanten, unter der Herrschaft meines Vaters. Entsprechend schwer war es, mir ein anderes, ein normales Leben überhaupt nur vorzustellen, denn es bedeutete auch, meine Familie zurückzulassen.
News: Was wäre die Alternative gewesen?
Bin Laden: Das Leben, das mein Vater für seine Söhne auserkoren hatte – ein Leben als Kämpfer im Heiligen Krieg. Über Jahre quälte mich diese Entscheidung, da sie auch bedeutete, meine Mutter und meine unschuldigen Geschwister, die mich brauchten, zurückzulassen. Es gibt keine Entscheidung in meinem Leben, die mir schwerer fiel. Keine einzige. Aber die Spannungen mit meinem Vater wuchsen ins Unermessliche, es wurde unmöglich, noch länger an seiner Seite zu bleiben, also ging ich und betete für meine Geschwister.
News: Wie erfuhren Sie schließlich vom 11. September?
Bin Laden: Ich war im Haus meiner Großmutter in Jeddah in Saudi-Arabien und schlief, als mein Onkel plötzlich ins Zimmer stürmte und rief: „Schau, was dein Vater angerichtet hat!“ Als ich dann die einstürzenden Twin Towers sah, konnte ich nicht glauben, dass mein Vater für all das verantwortlich sein sollte, ich betete dafür, dass es nicht stimmte, und weigerte mich noch Monate, auch nur anzunehmen, mein Vater könnte hinter all dem stecken.
News : Wann begannen Sie zu realisieren, dass Sie sich irrten?
Bin Laden: Als ich die Stimme meines Vaters hörte, als ich ihn sagen hörte, dass er dafür verantwortlich ist. Erst dann konnte ich es glauben.
News: Wie gehen Sie nun mit diesem Wissen um?
Bin Laden: Es quält mich jeden Tag, es macht mich traurig, und ich fühle mich schlecht wegen jedes einzelnen Opfers.
News: Es gibt Gerüchte, die CIA hätte Sie kontaktiert mit der Bitte, die Agenten bei der Jagd nach Ihrem Vater zu unterstützen. Stimmt das?
Bin Laden: Ich bin mir nicht sicher, ob es die CIA war, aber als ich mich in Spanien befand, kamen Leute aus dem Weißen Haus, um mich zu befragen. Sie waren höflich, legten mir eine Landkarte vor und baten mich, ihnen darauf zu zeigen, wo sich mein Vater aufhält. News: Und, taten Sie es? Bin Laden: Ich weiß nicht, wo er ist. Seit ich Mitte 2001 Afghanistan verlassen habe, hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich habe diesen Männern also gesagt, dass ich nicht zum inneren Kreis um meinen Vater zähle und er deshalb keinen Grund hat, mir mitzuteilen, wo er sich aufhält.
News : Osama bin Laden ist der meistgejagte Mann der Welt. Wundert es Sie nicht, dass er bislang unentdeckt blieb?
Bin Laden: Nein, das wundert mich überhaupt nicht. Sie hätten ein Leben lang an meiner Seite sein sollen und hätten gesehen, wie körperlich stark und ausdauernd mein Vater ist. Seine Kondition ist besser als die eines halb so alten Mannes. Manchmal weckte er mich nachts auf, um von Afghanistan über die Berge nach Pakistan zu ziehen – aber nicht im Jeep, nicht mit dem Pferd, zu Fuß, im Dunkeln. Er kennt die Berge von Tora Bora wie andere nur ihren eigenen Garten, so als ob er selbst jeden einzelnen Stein mit der Hand dort hingelegt hätte.
News: Lebt Ihr Vater noch?
Bin Laden: Ja, denn ich erkenne seine Stimme auf den Audio- Botschaften, und er spricht darin über aktuelle Ereignisse, also muss er am Leben sein.
News: Und glauben Sie, ihn noch jemals wiederzusehen?
Bin Laden: Das ist eine sehr schwierige Frage, die nur Gott beantworten kann.
News: Was würden Sie ihm sagen, sollten Sie noch einmal auf ihn treffen?
Bin Laden: Das Gleiche, was ich ihm schon bei unserem letzten Zusammentreffen sagte: dass er mit der Gewalt aufhören soll, umkehren soll, dass Krieg nicht die Antwort ist. Er wäre vermutlich erneut außer sich darüber, dass sein Sohn seine Visionen nicht teilt. Aber natürlich, er ist auch mein Vater, und Gott hat gewollt, dass Söhne ihre Väter immer lieben werden, also würde ich ihn schließlich auch fragen, wie es ihm denn geht.
(Erschienen in NEWS 50/09)