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Der Fürst und das Volk

TSCHECHIEN. Adeliger auf Stimmenjagd. Wie Karl Schwarzenberg beim Bier bittere Pillen verteilt und damit Erfolg hat.

Es ist kurz vor Mitternacht und es ist sein zwölfter Tisch an diesem Abend. Das „Sherwood“, ein Bierlokal mitten im Bermudadreieck der nordmährischen Stadt Ostrava, ist voll, die Luft rauchverhangen, die Atmosphäre alkoholgeschwängert. Karl Schwarzenberg nimmt Platz, steckt sich seine Pfeife an, nimmt einen Schluck Bier und wartet. Vier Männer und drei Frauen sitzen ihm gegenüber, reichen ihm die Hand, lächeln, machen Fotos mit dem Handy.

Petr, ein 21-jähriger Student der Elektrotechnik, ergreift als erster das Wort: „Sagen Sie, Herr Fürst, sind Sie wirklich dafür, so viel einzusparen, Leistungen zu kürzen und warum überhaupt?“ Schwarzenberg räuspert sich und setzt dann an, über die Zukunft zu sprechen. Über niedrigere Pensionen, weniger Arbeitslosengeld – harte Maßnahmen, die ihm nötig erscheinen. Als er später das Lokal verlässt, bleiben begeisterte Menschen zurück.

Der Fürst und das Fohlen. Wer derzeit durch unser nördliches Nachbarland fährt, glaubt sich in zwei verschiedenen Welten. In der einen, sozialdemokratischen, gibt es das Wort Krise nicht, dafür umso vollmundigere Versprechen für die am 28. und 29. Mai anstehenden Parlamentswahlen. In der anderen, konservativen, wird Tschechien zu einem zweiten Griechenland – hochverschuldet, nahe am Staatsbankrott und von den Linken an den Abgrund getrieben. Karl Schwarzenberg graut vor einer solchen Welt und deshalb besteigt er am vergangenen Donnerstag den Zug nach Ostrava.

Es ist Wahlkampf, elf Monate schon: „Eine Zeit, in der eine Stute ein Fohlen bekommt“, wie der Fürst süffisant meint, als er seinen Platz in der zweiten Klasse sucht. Karl Schwarzenberg ist 72, adelig und reich. Ihm gehören Schlösser und Ländereien in Böhmen, Bayern und Österreich. 1948 musste er mit seiner Familie vor den Kommunisten aus der CSSR fliehen, lebte fortan 40 Jahre in Wien im Exil und kehrte erst nach der Wende zurück. Anfangs an der Seite von Václav Havel, war er zuletzt Außenminister in der vor einem Jahr geplatzten bürgerlich- grünen Koalition. Er hat viel erreicht im Leben und müsste all dies nun nicht tun. Er müsste keine Hände schütteln, sich nicht auf die Schulter klopfen lassen, für Fotos posieren und Tag für Tag von einem Termin zum nächsten durch die Lande ziehen. Warum also gründet er eine Partei und tut sich all das noch an?

„Weil ich ang‘fressen bin“, antwortet er, „ang‘fressen wegen der Korruption und der Unehrlichkeit vieler Politiker hier. Und weil ich nicht nur schimpfen, sondern auch etwas verändern will.“ Also tingelt er nun durch Böhmen und Mähren, trifft auf Arbeiter, Studenten, junge Mütter und ältere Damen. Und alle lieben sie ihn, machen ihn zum beliebtesten Politiker Tschechiens. Ihn, den Hochadeligen. In einem Land, das seinesgleichen lange verachtete.

„Hier hat es immer geheißen, wir hätten nur gesoffen und geprasst,“  meint der Fürst, „aber langsam scheint sich da etwas zu ändern.“ Zumindest wenn man Karl Schwarzenberg heißt, in Ostrava Straßenbahn fährt und in einem etwas antiquierten Tschechisch, das die Leute lustig finden, Wahrheiten anspricht. „Ich mag ihn“, sagt abends Jakub, ein Schlosser aus der Vorstadt, „denn er ist selbst reich und muss im Unterschied zu den anderen später nicht in fremde Taschen greifen, um sich zu bedienen.“

Bier und Speed Dating. So wie Jakub sehen es viele und TOP09, die neu gegründete Partei des Fürsten, katapultierte sich bei den kürzlich stattgefundenen Uni-Wahlen auf den ersten Platz. Landesweit liegt sie nun laut Umfragen bei elf Prozent. So käme ihr nach den Wahlen eine entscheidende Rolle bei der Bildung einer konservativen Koalition zu, sollte es den wohl stimmenstärksten Sozialdemokraten nicht gelingen, selbst eine Mehrheit zu finden. Schwarzenberg würde zum Jolly Joker und wohl erneut Außenminister. Doch bis es so weit ist, wirkt in Ostrava alles noch ein wenig wie beim „Speed Dating“. Der Fürst zieht von Lokal zu Lokal und dort von Tisch zu Tisch, wo bereits Menschen mit vielen Fragen warten.

„Auf ein Bier mit Karel“, heißt die Aktion, bei der Schwarzenberg Gerstensaft trinkt, aber auch bittere Pillen bereithält. Noch ist Tschechien zwar weit davon entfernt, zu Europas Sorgenkindern zu zählen. Die Verschuldung liegt markant unter jener Österreichs, steigt aber seit Jahren stetig an und der Beinahe-Bankrott Griechenlands hat aufgerüttelt. „Also, wie machen Sie das nun“, will die blonde Kindergärtnerin Markéta wissen und bekommt zu hören, „wie wichtig es ist, jetzt auf die Bremse zu steigen, bei Politikern und Beamten genauso wie bei Sozialleistungen, um nicht in ein paar Jahren in einer Situation zu sein, wo sich Reiche weiterhin alles leisten können, dem Staat aber kein Geld mehr für seine Armen geblieben ist.“ Und dann erinnert der Fürst an sein Lieblingsmärchen – des Kaisers neue Kleider: „Jemand muss ja sagen, dass er nackt ist und nicht bloß leicht angezogen.“

Fäuste, Hetze und Elvis

Brutaler Endspurt. Warum nun ein Tabubruch alle gegen die Sozialdemokraten mobilisiert.

Es begann harmlos: die oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD), die in Umfragen mit 27 Prozent in Führung liegen, starteten in den Wahlkampf so als ob es keine Krise gebe. Abschaffung der Studiengebühren, Aufhebung der Zuzahlung beim Arzt, höhere Pensionen und Gehälter – Parteichef Jirí Paroubek hielt für jeden etwas bereit. Plötzlich tauchten aber Plakate auf, die die vollmundigen Versprechungen ins Lächerliche zogen und Paroubek sagen ließen, dass er den Wählern auch Elvis zurückbrächte, ihnen Bier um 15 Cent garantiere und weiters dafür sorgen würde, dass sie nie wieder mit einem Kater aufwachen.

Ein klassischer Fall von „negative campaigning“, hinter dem die zweitplatzierten konservativen Bürgerdemokraten (ODS) stecken dürften. Die Sozialisten reagierten mit Humor, ließen auf Veranstaltungen fortan ein Elvis- Double auftreten, schenkten billiges Bier aus und drückten den Wählern auch gleich das Aspirin für danach in die Hand. Lag erschlacht. Doch vor der Wahl am kommenden Freitag steigt die Nervosität. Paroubek, der im Fall eines Sieges auch mit dem Tabubruch einer von den Kommunisten geduldeten Minderheitsregierung kokettiert, wird vorgeworfen, Tschechien zum zweiten Griechenland zu machen (s. Foto). Auf CSSD-Veranstaltungen flogen bereits die Fäuste, ein Spitzenkandidat wurde verletzt, Wahlzelte angezündet. Das konservative Lager um die ODS und Schwarzenberg hofft nun, eine linke Mehrheit verhindern zu können.

Erschienen in NEWS 19/10

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