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Die Schlepper von Zarzis

DER EXODUS. Ein Boot, ein Preis, ein Business. Tausende Araber wollen zu uns. NEWS zeigt erstmals das schmutzige Geschäft hinter der Flucht.

Ein staubiger Parkplatz am Mittelmeer. Nichts Liebliches, Smaragdgrünes. Bloß Brandung, Gischt, Verdrießlichkeit. „Verlorene Tage“, wird Fithi, unser Türöffner in eine Welt, vor der sich Europa fürchtet, später sagen. Einen weiteren Schluck aus der Flasche nehmen und ins Leere starren. „Tote Zeit“, wird er nach einer Weile hinzufügen und versprechen, uns mitzunehmen in diese Welt, in der Schlepper und Schurken die Hauptrolle spielen. Doch noch ist es nicht so weit.

Noch gilt es die Nebendarsteller zu beobachten. Wie sie betont lässig dahocken. Wasserpfeife rauchen, am Tee nippen, es langsam dunkel werden lassen. Es sind junge Männer in Lederjacken, die Haare gegelt, die Kleidung sportlich.

Die magischen Wörter. Sie sitzen in einem Café, das sie hier spaßhalber das „italienische Konsulat“ nennen, schauen Fußball. Juventus müht sich gegen Milan ab. Als die Nachrichten folgen, wollen die Männer schon, dass umgeschaltet wird. Erst als sich im Redeschwall des Moderators, den sie nicht verstehen, das Wörtchen „Lampedusa“ wiederholt, blicken sie auf. Das magische Wort. Da ist es.

Sie sehen nun wackelige Kähne voll mit Menschen, die im Morgengrauen auf der kleinen italienischen Mittelmeerinsel ankommen. Männer, die aussehen wie sie, von Carabinieri eskortiert. Es sind Bilder des Ansturms auf Europa, wie sie auch in Österreich im TV laufen. Tausende, die mit Booten kommen. Der Anfang eines „biblischen Exodus“ aus Nordafrika, wie Italiens Innenminister warnt. Das ganze Café starrt nun gebannt auf den Schirm. Fragt sich, ob der Bruder, der Cousin, der Freund es geschafft haben. Auf der anderen Seite des Meeres mögen sich Menschen angesichts solcher Bilder bedroht fühlen – hier im Süden Tunesiens sehen die Männer in ihnen hingegen bloß eines: ihre eigene Zukunft.

„Wir sind die Nächsten“, sagen die Burschen: „Bereit zur Überfahrt nach Lampedusa. Bereit für die ,Harraga‘.“ Es ist das zweite magische Wort, das immer wieder fallen wird. Ein Wort, das müde Augen sofort lodern lässt. Einen Film in Gang setzt, in dem endlich sie die Hauptdarsteller sind – Geld haben, in Discos tanzen, mit Europäerinnen flirten.

„Harraga“. Auf Arabisch heißt das, „die, die etwas verbrennen“ – gemeint sind die Papiere, derer es sich zu entledigen gilt, bevor sie sich in die kaum noch seetauglichen Boote pferchen. „Harraga“ – das ist mittlerweile alles – die Überfahrt, die Angst, die einzige Hoffnung auf ein besseres Leben.

Ansturm der „Ungewollten“ Lang war sie verbaut durch Herrscher, die Europa erst in ihren letzten Tagen Diktatoren zu nennen begann. Machthaber wie Tunesiens Ben Ali, der sich im Jänner mit anderthalb Tonnen Gold absetzte. Zuvor war er wie Libyens Gaddafi ein gern gesehener Gast in den Staatskanzleien. Für Geld und Ehrerbietung schlossen sie mit den Europäern Abkommen, die die Rücknahme ihrer geflohenen Bürger vorsahen. Europa entledigte sich der „Ungewollten“ und die „Harraga“ blieb ein leerer Traum. Doch nun, wo Ben Ali weg ist und auch Gaddafi wankt, brennen nicht nur die Papiere der Flüchtenden lichterloh, sondern mit ihnen auch das Konzept von der Festung Europa.

Über 22.000 Tunesier haben sich seit Jahresbeginn nach Lampedusa abgesetzt. Und schon treffen dort auch die ersten Boote aus Libyen voll mit Flüchtlingen aus anderen afrikanischen Staaten ein. Auf der gerade einmal 20 Quadratkilometer großen Insel herrscht Ausnahmezustand und Premier Berlusconi laviert zwischen Versprechen und Versagen. Die Migranten lässt er in Lager auf das Festland schaffen, die untätige EU warnt er, Italien könne das Problem auch nach Norden auslagern und den Flüchtlingen „Dokumente zur Weiterreise ausstellen.“ Im grenzenlosen Europa halten daher in Österreich bereits Polizeistreifen Ausschau nach ersten Ankömmlingen.

Wir sind dort, wo ihre Reise begann. In Zarzis, nicht weit vom Urlauberparadies Djerba und nah an Libyen. 80.000 Einwohner in weißgetünchte Häusern, ein wenig Fischfang, ein wenig Tourismus und ein einziger Geschäftszweig, der wirklich floriert: der Handel mit der Hoffnung, mit dem leicht entflammbaren Traum vom besseren Leben.

In der Frontstadt der Flucht. Drei Monate sind seit der Selbstverbrennung eines tunesischen Obsthändlers vergangen. Ein Fanal für die Freiheit und gegen die Unterdrückung. Der Startschuss der arabischen Revolution, die wie ein Lauffeuer die ganze Region erfasste. Drei Monate ist das her. Zarzis hat sich in dieser Zeit gewandelt. Zur Frontstadt der Flucht. Zum Mekka der Schlepper, deren Spur es zu folgen gilt.

Der Wind weht stark, Wellen peitschen ans Ufer, die Boote liegen im Hafen vertaut. In den Cafés läuft wieder Fußball und auf dem staubigen Parkplatz am Meer, der gleich neben einer Militärgarnison liegt, parkt ein einziges Auto.

Ein BMW: alt, schwarz, mit Wechselkennzeichen. Darin drei Männer, die trinken. Der eine aus Schmerz. Der andere gegen die Anspannung. Und der dritte wohl nur, weil er es längst gewohnt ist. Sie sind um die 50 und warten. Der eine, Faruk, auf seinen Sohn, der niemals zurückkehren wird. Die anderen beiden auf Kunden, die noch kommen könnten. Sie starren aufs Meer, rauchen, trinken.

Der Schmerz des Vaters. „Irgendwo dort draußen ist mein Sohn“, sagt Faruk nun und bietet einen Schluck vom Fusel an, „tot!“ Es war am 11. Februar, wird er später bei sich zu Hause berichten, während er den Weg in Abdallahs leeres Zimmer weist, Fotos von ihm hervorkramt und weint. „17 war er erst. 17! Er hatte Träume, ein Diplom, fand hier keine anständige Arbeit und wollte weg – so wie alle, die jung sind.“ Also borgte sich Faruk, der Vater, der im Hafen gearbeitet hatte und nun wie so viele arbeitslos ist, Geld. 1.000 Euro – der Standardpreis für die „einfache Fahrt“ nach Lampedusa. In der Dämmerung verabschiedete er den Sohn, zwei Tage später erfuhr er von dessen Tod. Ertrunken. Das mit 120 Personen besetzte Boot war von der tunesischen Küstenwache gerammt worden. Die Leichname sechs junger Männer wurden geborgen, 18 bleiben wohl für immer vermisst.

Es ist dunkel geworden. Der Weg führt zurück zum schwarzen BMW. Die Innenbeleuchtung brennt. „Keine Kunden“, vermeldet Fithi beim Öffnen einer weiteren Bierdose. „Solange wir solch starken Seegang haben, werden auch keine Boote ablegen.“ Nun lacht er verschmitzt, will weder Details preisgeben, noch uns zu den Wartenden führen, die zu Hunderten in Quartieren über ganz Zarzis verteilt sitzen. „Morgen, vielleicht.“ Ein betrunkenes Versprechen? In der Nacht dann ein Anruf. Fithi! Der Anwerber, der Händler der Hoffnung, einer der Profiteure des Übergangs zwischen Diktatur und dem, was das 10-Millionen-Land Tunesien zur Demokratie machen soll. „Kommt vorbei. Sofort!“ Sein weißgewaschenes Haus liegt am Meer, glänzt mit Balustraden und dient einer weit verzweigten Familie als Anwesen. Er selbst hockt im Garten, hat ein Lagerfeuer entfacht.

„Setzt euch zu mir. Ich werde erzählen, was wirklich abläuft.“ Was folgt sind Modellrechnungen, Gewinnspannen, Risikoabschätzungen. Was hängenbleibt, ist ein einfacher Satz: „Wenn alles so läuft, wie es soll, brauchst du mit einem vollen Boot 16, vielleicht 17 Stunden bis Lampedusa. Du hast 120 Mann an Bord und bist nach Abzug der Kosten um 100.000 Euro reicher.“

Gerede im Rausch der Nacht? Summen jedenfalls, von denen die Fischer von Zarzis nur träumen können. „Frühmorgens laufen wir aus“, berichten die Männer am nächsten Tag und reichen Cous Cous mit Fisch, „und abends kehren wir oft mit halb leeren Netzen zurück.“ 250 Euro lassen sich so im Monat verdienen. Das muss reichen.

Die Menschenfischer. Einst lag in Zarzis die größte Fischflotte Tunesiens vor Anker, heute sind die Gewässer von Europas Profi-Fangflotten leergefischt und viele der Kutter landeten auf Lampedusa – beschlagnahmt von Italiens Küstenwache. Es sind längst „Menschenfischer“, die nun in Zarzis ihre Netze auswerfen, in der Werft ein neues Boot nach dem anderen zusammenzimmern und Geld scheffeln als seien sie im globalen Drogenhandel tätig.

Einer von ihnen wartet in einem Hinterhof nicht weit von der großen Moschee entfernt: Fithi, nüchtern. Er will seine Ankündigungen wahrmachen, uns zu Flüchtenden führen. Es sind an die 50, die wenig später auf Matrazen lungern. Sie stammen aus ganz Tunesien, warten seit Tagen in der illegalen Unterkunft auf die Abfahrt. Der Jüngste ist 16, der Älteste 43. „Harraga“.

Es sind „Söhne des Zorns“, wütend über die Korruption in ihrem Land, über Chancen bloß für jene mit Kontakten, während sie Tagelöhner mit einem Diplom in der Tasche bleiben. Doch waren das nicht genau die Gründe, die die Jungen im Jänner auf die Straße trieben, den Diktator stürzen ließen? Nun ist er weg, Tunesien steht am Tag 0 und sie fliehen? „Weil sich nichts ändern wird“, sagt der 24-jährige Mohammed und die anderen nicken, „vielleicht in einer Generation, aber nicht für uns. All das Leid, das wir in Europa ertragen werden müssen, kann nicht so groß sein wie die Demütigung, die wir hier jeden Tag erleben. Und wenn wir beim Versuch, zu euch nach Europa zu kommen, sterben, so hat es Allah so gewollt. Inschallah.“

 ,Wir wollen so leben wie ihr.‘ 1.000 Euro hat jeder von ihnen bezahlt. Die Mütter haben ihren Schmuck verkauft, die Väter das Haus verpfändet, um die Söhne auf die andere Seite des Meeres zu schicken. „Ihr braucht uns doch“, meint Mohammed nun selbstbewusst, „wir sind jung, kräftig und wenn wir einmal dort sind, werden wir auch bleiben. Wir wollen so leben wie ihr…“

Pathos, für das die Männer im Nebenraum nicht viel übrig haben. Aus Plastiksäcken quillen Geldscheine. Zu dritt sitzen sie am Tisch, sind mit dem Abzählen der Banknoten beschäftigt, tragen Namen in „Passagierlisten“ ein und Beträge für Personen bei Polizei und Küstenwache, die es zu schmieren gilt. Sie erwerben gerade noch seetaugliche Boote, sogenannte Seelenverkäufer, und bereiten sie für die Überfahrt vor. Diese Männer sind die wahren Capos. Bei ihnen laufen all die Fäden zusammen. Ein Foto gelingt, dann werden wir der Kommandozentrale verwiesen. Zurück zu denen, die mit nichts als der Kleidung am Leib und der Wut im Bauch nach Europa aufbrechen. „Harraga“.

Erschienen in NEWS 14/11

Ansturm auf Europa : Hier gibt es das Video.

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