Puszta-Putin oder Blödsinn? Was sich bei den Nachbarn tatsächlich abspielt und wieso das auch uns betrifft. Ungarn als Versuchslabor für Europa.
Ein „Puszta-Putin“ sei er. Ein Möchtegern- Diktator im Machtrausch. Einer, der Ungarn nicht nur gemäß seiner Pläne in bester Machiavelli-Manier umbaut, sondern dabei auch gleich in den Staatsbankrott steuert. Aus Brüssel trudeln böse Briefe ein, in denen ihm beschieden wird, „die Prinzipien einer freien Demokratie“ zu beschädigen. Und US-Außenministerin Hillary Clinton wirft ihm in einer Eildepesche gar vor, ein autoritäres System zu errichten.
Mitgehangen, mitgefangen. Für Viktor Orban, 49, ist es eng geworden. Vergessen die Tage seines Wahlsieges 2010, als ihm 53 Prozent der Stimmen dank der Wahlarithmetik eine 2/3-Mehrheit bescherten. Der konservative Nationalist sah darin den Auftrag, ein neues Ungarn zu formen. Nun steht er vor dessen Trümmern und Europa fragt sich, was donauabwärts wirklich vor sich geht.
Gerade in Österreich ist die Besorgnis groß. Unser Land verlor auch wegen seiner engen Verflechtung zu Ungarn soeben seine Top-Bonität. Heimische Banken halten beim Nachbarn Außenstände von 32 Milliarden Euro und an die 2.000 österreichische Firmen sind mit Niederlassungen im Orban-Land aktiv. Stürzt Ungarn, droht es auch Österreich mit in den Abgrund zu reißen. Wie groß ist die Gefahr und wie nah Ungarn am Untergang? Eine Fahrt durch Budapest. Ein Weg durch die „Donau-Diktatur“?
Morgens: Im Hungerstreik.
Ein in dicke Decken eingehüllter Mann. Eine zum Clown geschminkte Frau. Ein paar fröstelnde Mitstreiter. Und ein Zelt. Das Bild, das sich im Budapester Norden bietet, wirkt bizarr. Vor dem modernen Glasbau des Staats-TV kauern sie in der Kälte – 36 Tage schon. Balazs Nagy war der erste, dem es reichte. Ein kräftiger Kerl, Journalist und Gewerkschafter, viel rumgekommen in der Welt und schockiert von dem, was sich daheim abspielte.
„Verstehen Sie mich nicht falsch“, sagt er, „der politsche Einfluss war bei uns im Sender immer zu spüren. Unter den Sozialisten sah man Demonstrationen gegen die Regierung auch nicht gern, schummelte bei der Zahl der Teilnehmer oder wählte den Bildausschnitt so, dass die Masse zur kleinen Menge wurde. Das war normal. Aber seit Orban übernommen hat und den Sender umfärbte, erreichte die Manipulation eine neue Qualität.“
Nagy berichtet von Anti-Orban- Demos, zu denen erst gar kein Kamerateam hingeschickt wurde. Oder von Zehntausenden, die gegen den „Viktator“, wie sie ihn schon nennen, auf die Straße gingen, und einem Live-Einstieg des Staats-TV-Reporters, einsam auf einer leergefegten Straße stehend. „Es gibt auch Listen von Personen, die im TV nicht mehr vorkommen dürfen. Huschte einer von ihnen doch durchs Bild, musste er verpixelt werden.“
Als es erste Kündigungen für Verweigerer hagelte, zog Nagy die Reißleine. Er ging in den Hungerstreik, errichtete ein Protestzelt vor dem Sender und fand Mitstreiter für die Pressefreiheit. Gemeinsam wollen sie ausharren, bis Entlassungen aufgehoben und Verantwortliche abgesetzt werden.
Mittags: Im Feindes-Äther.
„Wir wären eigentlich das Feigenblatt. Uns könnte man Hillary Clinton zeigen. Ihr sagen, sieh her, du täuschst dich, so schlimm ist es nicht“, sagt Andras Arato. „Aber dafür hassen sie uns zu sehr. Uns zu vernichten, ist verlockender.“ Arato geht einen Stock tiefer ins Studio. Gerade beginnt die beliebteste Sendung von „Klubrádió´“. Ein Geschasster sitzt hinter dem Mikrofon – György Bolgar. Leute rufen an, es geht um Politik – wie meist bei ihm. Hier herrscht noch das freie Wort. Es wird geschimpft, geklagt, gestritten. Eine Meinung vertreten. Eine halbe Million Ungarn hört zu, wenn Bolgar on air geht – einst auf der Staatswelle und nun im „Klubrádió“. Der Sender setzt statt Ohrwürmern auf Opposition und das schickt ihn ins Off.
Wie, das ist leicht erklärt und doch kompliziert. „Sie schrieben Lizenzen neu aus, forderten mehr Musik, weniger Wort und wenn, dann maximal lokale Nachrichten“, erklärt Arato, der Senderboss. Schließlich ging eine Frequenz verloren und die andere läuft im Februar aus. „Widerspruch ist unerwünscht – und der neue Besitzer unserer alten Frequenz ein Strohmann der Regierung mit 3.000 Euro Kapital. Dümmer geht‘s wohl nicht“, empört sich Arato, der sein Ende vor Augen sieht, aber hofft, jenes für Orban käme früher.
Dann: Die Vierte Republik.
Dieses herbeizuführen ist auch Antrieb für Panni und Andras, zwei Studenten als Sinnbild einer Generation, die langsam genug hat. „Krise? Die haben wir seit fünf Jahren. Kürzungen, Einsparungen. Es wäre falsch, zu sagen, allein Orban sei schuld, dass wir fast pleite sind“, gesteht selbst Andras ein, „die Sozialisten haben acht Jahre lang einiges dazu beigetragen.“ Die beiden wissen, dass die Linke diskreditiert ist, auf Jahre hinweg wohl fern der Macht bleiben wird. „Wir wollen aber unsere Forint nicht ins Ausland schaffen, unserem Land den Rücken kehren, wie es so viele derzeit tun.“
Andras und Panni fühlen sich als Teil einer neuen Bewegung, einer Alternative: 4K, die vierte Republik, lautet der Name und ist Schlachtruf der neuen Linkspartei. Die Demo am 2. Jänner haben sie mitorganisiert und mit 70.000 Orban- Gegnern ein Zeichen gesetzt.
Dessen konservatives Lager sieht die lauter werdende Kritik am autoritären Abdriften Ungarns hingegen als vom Ausland orchestriert an. Der stellvertretende Staatssekretär im Außenministerium, Gergely Pröhle, vermutet im NEWS-Interview gar eine durch Österreichs Banken gesteuerte Berichterstattung. Und doch muss er zugeben, dass manch rasch durch gepeitschtes Gesetz, das die Gewaltenteilung in Frage stellt, keine gute Optik abgibt.
Abends: Auf der Straße.
„Krízis“ steht auf dem blauen Minibus, der durch ein Budapest in der Dämmerung fährt. In der einst Stau geplagten Donaumetropole hat der Verkehr sichtlich abgenommen. Zu teuer das Benzin, zu schlecht das Gehalt, zu hoch die Steuern.
An Häusern, an halb fertigen Bauruinen und an Geschäften hängen die immer gleichen Schilder. „Eladó“, zu verkaufen. Auch wenn es schon längst keine Interessierten mehr gibt. Der Bus hält. Zwei Männer steigen aus. Einer streift sich Gummihandschuhe über, der andere holt einen Becher hervor. Sie nähern sich einer zitternden Gestalt, die in einem Hauseingang hockt. Fragen, wie es ihr geht, reichen Tee und müssen dann doch weiterfahren. Wohin auch mitnehmen? Mehr als 10.000 Obdachlose gibt es allein in Budapest und nicht einmal halb so viele Plätze in Unterkünften. Im vorigen Jahr erfroren an die 400 in der Kälte – und nun will man all das Elend nicht mehr sehen.
Ein neues Gesetz. Ein Verbot. 150 Euro Strafe für Obdachlose, die auf der Straße aufgegriffen werden. Wer nicht zahlt, landet bald im Gefängnis. Oder lieber im Wald, wohin uns die zwei Männer von der Hilfsorganisation „Zuflucht“ in ihrem blauen Bus fahren. Noch mitten in Budapest, nah an der Donau, haben sich ein paar von ihnen Bretterbuden gezimmert. Arpad, der Ältere, hat einen Gasofen, Attila nicht einmal das. „Lieber hier unentdeckt frieren, als im Knast krepieren“, sagen sie. Wie Aussätzige hausen Hunderte am Rand einer Gesellschaft, die selbst nichts so sehr fürchtet, als das selbe Schicksal zu erleiden – in einem Staat, der an seine Grenzen gelangt ist.
Tags darauf: Paramilitärs.
Angst kriecht in die Ungarn. Ganz langsam, ganz unbemerkt, aber mit verheerenden Folgen. Zuerst probierten sie es mit den Sozialisten, bekamen Korruption und Misswirtschaft. Dann also Orban. Ein nationalistischer Verführer, der mit viel Pathos das Magyarenherz eroberte, seine hochtrabenden Pläne aber mit der düsteren Wirtschaftslage begraben musste. Entweder pokert er nun hoch und riskiert damit den Bankrott oder er macht Zugeständnisse, kappt autoritäre Anwandlungen, um sich die Rettung durch EU und IWF zu erkaufen.
Die Profiteure seines Versagens marschieren gerade in Buda auf. Paramilitärs in Phantasieuniformen. Martialisch, gefährlich, rassistisch. Deren Anführer sehen Ungarn in „Geiselhaft der Finanzjuden“ und verbrennen die EU-Flagge. Es ist Jobbik, die „Partei der Besseren“, der extremen Rechten. 20 Prozent und mehr geben ihnen die Umfragen in einem Land, das zum Versuchslabor Europas für den Verfall geworden ist.
Erschienen in NEWS 03/2012