SLOWAKEI. Mafia, Millionen & Minister. Wie gleich hinter Wien eine Korruptionsaffäre zur Politik-Kernschmelze führt: viele Verlierer, ein wenig Sex und ein Sieger.
Eine verborgene Wohnung in Bratislava. „19.30 Uhr: Ankunft Jirko Malchárek (slowakischer Wirtschaftsminister). Er sperrt auf, schaltet den Alarm aus, dreht den Fernseher an. Telefoniert mit einer unbekannten Person. Thema: die Abberufung zweier Leute und die Einsetzung seiner Vertrauten. 19.47 Uhr: Ankunft Jaroslav Haščák“ (Miteigentümer der Finanzgruppe Penta, Jahresumsatz: 2,1 Milliarden Euro).
Was so harmlos beginnt, ist der Auslöser eines politischen Erdbebens. Eine Akte, so heiß, dass sie vor der Parlamentswahl am kommenden Samstag zur Kernschmelze eines ganzen Systems führt. Menschen in einem politisch eher apathischen Land zu Tausenden wutentbrannt auf die Straßen treibt. Das ist die „Akte Gorilla“, die Geschichte ungeahnter Korruption mit Wellen, die bis nach Wien reichen.
Der Geheimagent und die Minister.
Wir schreiben 2005. Die Slowakei boomt. Der konservative Premier Mikuláš Dzurinda verwandelt das Land mit Flat Tax und Privatisierungen zum Investorenparadies, schon ist vom „Tatra- Tiger“ die Rede. Zeitungen berichten im Gegenzug über harte Reformen, die die Politik den Bürgern abverlangt.
Ein Agent des Inlandsgeheimdienstes SIS macht derweil sonderbare Beobachtungen. Blickt er aus dem Fenster seiner Wohnung, sieht er immer häufiger Personen im Haus ein und aus spazieren, die er aus dem Fernsehen kennt: Politiker, Minister und deren Handlanger. Er erkundigt sich. Erfährt, dass Penta eine Nachbarwohnung angemietet hat. 50 Kilometer hinter Wien kennt die Firma jeder. Ihre Eigentümer sind Multimillionäre, zählen zu den reichsten Männern der Slowakei, allesamt durch die Privatisierungen der 90er- Jahre vermögend geworden.
Der Geheimdienstler meldet die Beobachtungen seinen Chefs. Die beantragen die Erlaubnis, die Wohnung zu verwanzen. Spezialgeräte aus Israel, „Gorilla“ genannt, werden angeschafft. Die Aktion läuft an. Was folgt, ist ein Blick ins Innerste der slowakischen Politik. In ein System, in welchem Minister wie Erfüllungsgehilfen von Konzernbossen wirken. Ihr Land verschachern und zuerst darauf schauen, dabei selbst ordentlich mitzuschneiden. Vom Minister bis zur Chefin der staatlichen Privatisierungsanstalt – sie alle holen sich ihre Anweisungen vom Finanzhai, der ihnen mitteilt, welcher Staatskonzern wann an wen um wie viel zu verscherbeln sei und welche „Provision“ in Millionenhöhe für sie dabei wartet.
Sex, Lügen und kein Video.
Fast ein Jahr lang geht das so. Die konspirative Wohnung im Zentrum von Bratislava wird zum Schauplatz schmutzigster Deals. Zur Stätte der Verschmelzung von Politik- und Businessplänen. Zum in Zahlen gegossenen Ort illegaler Parteienfinanzierung und persönlicher Bereicherung.
Und auch Sex darf nicht fehlen. Die Chefin der Privatisierungsagentur und der Finanzmagnat beim horizontalen Stelldichein. „Der Fernseher läuft bei voller Lautstärke. Die Gespräche sind unverständlich … lange Stille … Höhepunkt des Sex … Duschgeräusche“, wird in den Akten unter dem Datum 25. Juni 2006 festgehalten.
Aber kann das stimmen? Kann all das tatsächlich so stattgefunden haben? Es wäre vernichtend. Der Beweis für übelsten Betrug gewählter politischer Mandatare an ihren Bürgern. Österreichs bekannteste Korruptionscausen von Telekom bis Buwog zum Quadrat. Die Abhöraktion wird abgebrochen, die Akte im Archiv abgelegt. In Bratislava kommt es zum Machtwechsel. Der Sozialist Robert Fico wird neuer Premier.
Es vergehen Jahre. Gerüchte geistern herum. Der eine will von den Akten gehört, ein anderer gar einen Teil gesehen haben. Medien sollen sie angeboten worden sein, aber die Angst vor Strafen schien zu groß. Dann, kurz vor Weihnachten 2011, der Paukenschlag: Gerade ist die konservative Premier- ministerin Iveta Radičová wegen des Euroschutzschirms zurückgetreten. Neuwahlen werden für den 10. 3. 2012 angesetzt – und „Gorilla“ landet plötzlich im Internet. Für jeden nachlesbar. Der Sturm bricht los.
Die Slowaken können ihren Augen nicht trauen. Die politische Elite des Landes, besonders jene rechts der Mitte – nichts als korrupte Nutznießer eines Sumpfes von ungeahntem Ausmaß? Es geht um Milliarden, und Penta schweigt. Fast zwei Monate lang. Während nun Woche für Woche Tausende auf die Straße gehen, „Gorilla“ zum Synonym für Korruption wird, bestätigt der Geheimdienst, dass die Aktion tatsächlich stattgefunden hat. Aber: Die Tonaufnahmen seien längst vernichtet worden. Auch die Wort-für-Wort-Abschriften seien nicht mehr auffindbar. Was bleibt: die Zusammenfassung dessen, was abgehört wurde – und die steht im Internet.
Ein Frühstück mit der Mafia.
Die von der Korruption unbefleckte Premierministerin Radičová reagiert. Entlässt die Chefin der Privatisierungsagentur und leitet Ermittlungen ein.
Erst im Februar nimmt Penta-Boss Jaroslav Haščák Stellung, spricht von „Lügen“, einer „Fiktion“, „Erfindungen“ und beteuert, selbst bloß zweimal in besagter Wohnung gewesen zu sein, „aber nie jemanden korrumpiert“ zu haben.
Zu spät. Die bürgerlichen Parteien stürzen in den Umfragen ab. Keine von ihnen kann noch auf mehr als zehn Prozent der Stimmen hoffen. Die Partei des damaligen Premiers und jetzigen Außenministers Dzurinda muss gar um den Wiedereinzug ins Parlament bangen.
Es ist die Stunde der Populisten. Einer von ihnen sitzt uns nahe der Bratislaver Burg gegenüber. Setzt sein Marketinglächeln auf, berichtet stolz, sich an einen Lügendetektor angeschlossen zu haben, um den Nachweis zu bringen, nie Schmiergeld genommen zu haben, und fordert dergleichen auch für alle anderen. Er führt die „Partei der gewöhnlichen Leute“ an, reitet erfolgreich auf der Welle der Wut.
Ein anderer, Waffenproduzent aus dem Osten, gründet die „Partei der 99 Prozent“, lässt mit viel Geld teure Werbespots drehen, um zu kaschieren, selbst dem einen Prozent der Schwerreichen anzugehören. Erst vergangene Woche stellte sich heraus, dass viele der zur Kandidatur nötigen Unterschriften von längst Verstorbenen stammen dürften.
Und einer, der Saubermann schlechthin – Parlamentspräsident Richard Sulík, der mit seinem Nein zur Griechenland- Rettung Radičovás Regierung zu Fall brachte –, bekommt plötzlich auch Probleme.
Ein Video taucht auf. Es zeigt ihn im Haus eines Mannes, den die slowakische Polizei auf ihrer „Mafia-Liste“ führt. Berät mit ihm beim gemeinsamen Frühstück, wie Parlamentsabgeordnete für 300.000 Euro je Stimme zu kaufen und Abstimmungen zu schieben sind. Volltreffer und ein weiteres Fiasko für die Bürgerlichen.
Nur einer ist bei bester Laune. Lädt uns zum Wahlkampfauftritt in die Bezirksstadt Nitra, wo er vor voller Bühne von den Verheißungen einer Rückkehr der Sozialisten schwärmt: Robert Fico war zwar auch Gast in besagter Wohnung – doch seine Weste scheint weiß. Nun kehrt er zurück an die Macht. „Gorilla“ sei Dank.
Erschienen in NEWS 10/2012