BUSEN GEGEN BÄLLE. Sie sind jung, hübsch und wütend. Wer sind die Oben-Ohne-Feministinnen aus Kiew? Wir trafen die Mädchen, die nackt gegen die Fußball-EM zu Felde ziehen.
Ein Hotel in Kiew. Ein Telefon, das spätnachts noch läutet. Man windet sich aus dem Bett, greift zum Hörer. „Dewuschka wam nuschna?“, fragt die Stimme am anderen Ende der Leitung ganz selbstverständlich. Also, ob Bedarf nach einem Mädchen besteht. Vermutlich eine von denen, die im kurzen Rock und in High Heels unten auf der speckigen Couch in der Lobby hocken. „Net, spasiba.“
Willkommen in der Hauptstadt der Ukraine, der Drei-Millionen- Metropole am Dnepr, wo bis zum Finale in drei Wochen die Fußball-EM stattfindet und Hoteltelefone Hochbetrieb haben werden.
Inna muss lachen, als sie die Geschichte am nächsten Tag hört. „Na, da hast du ein gutes Haus erwischt“, meint sie spöttisch, „nicht alle bieten ein solches ,Service‘ an.“ Sie ist 21, bildhübsch, trägt ihr blondes Haar lang und die Schminke grell. Neben ihr Sascha, eine weitere langbeinige Blonde, und Oxana, die Brünette mit dem Puppengesicht. Die drei basteln gerade an einem Penis. Ein großer soll es werden, möglichst echt aussehend – aus rosarotem Schaumstoff. Was wirkt wie eine Szene aus der Model-WG, spielt sich im Keller eines Hinterhofs in Kiew ab: dem Femen- Hauptquartier.
Die dummen Puppen …
Die Mädels planen wieder was. Wollen noch nichts Genaues verraten. Aber eines ist klar. Sie werden es erneut tun: halbnackt umherlaufen, schreien, brüllen, ihre Brüste in die Welt und vor allem in die Kameras halten. Tags darauf werden die Bilder erscheinen. In Zeitungen und im Fernsehen, von Austria bis Australia. Und manch ein Mann wird hinschauen, schmunzeln, sich denken: „Na ja, so gefällt mir der Feminismus.“
Ist damit die Geschichte zu Ende erzählt? Handelt sie bloß von ein paar dummen Puppen, die sich entblößen, um ein bisschen gegen Prostitution und für Emanzipation zu protestieren?
Kritiker sehen das so. Sagen, die Mädels bewirken das Gegenteil dessen, was sie wollen. Warnen vor Pornografisierung und fragen, wer das ganze Theater eigentlich finanziert.
Von der anderen Seite kommt Lob. Selbst die Frauenikone Alice Schwarzer spricht von „neuem Feminismus“, „dem Busen als Waffe“. Und schon finden die „Nacktivistinnen“ Nachahmerinnen in ganz Europa. Ja selbst in den USA und in Tunesien lüften erfahrene Frauenrechtlerinnen die Hüllen und tun es den 40 ukrainischen Femen- Mädels, die im Netz 30.000 Anhänger haben, gleich.
Als alles begann, waren sie 16, 17, saßen zu dritt in Chmelnizky, einer Industriestadt fünf Stunden hinter Kiew, und träumten. Vom Weggehen, vom Studieren, vom Ausbrechen. „Nicht mit 20 heiraten, wie es alle tun“, meint Oxana, das Mädchen mit dem Puppengesicht, „nein, was aus sich machen, stark sein, in einer Gesellschaft, wo der Mann alles und die Frau nichts ist.“
Oxana wurde gläubig erzogen, malte schon damals wunderschöne Ikonen, die in der Kirche hängen. Dann, noch in Chmelnizky, begannen sie und Sascha zu lesen. Marx, Bebel, dazu allerlei Philosophen – dicke Schwarten, die Gleichaltrige höchstens vom Hörensagen kannten. „Irgendwann schaust du aus dem Fenster und denkst dir: Wovon schreiben die da? Nichts hat sich geändert. Du lebst in einem Land, wo Männer mit Geld regieren und Frauen schon froh sind, keinen Alkoholiker zu heiraten.“
„Wanna fuck?“
Sie gingen nach Kiew. Nacheinander. Studierten: Wirtschaft, Kunst, Journalismus. Und diskutierten weiter. Gründeten eine Gruppe für Studentinnen und wunderten sich, wenn sie abends über Kiews Prachtboulevard, den Kreschatik, spazierten, als Ausländer sie anhielten und mit viel Wodka in der Stimme fragten: „Wanna fuck?“
Das Klischee der armen, billigen, aber willigen Ukrainerin, das Sextouristen zu Abertausenden anzieht und das Land zu einem der Hauptzentren des Frauenhandels macht – es ist genau dieses Klischee, das die Mädchen rasend macht. „Und egal, wie fleißig und schlau du bist, nichts ändert sich“, sagt nun die blonde Inna, die in Kiew zur Gruppe stieß. „Ich habe Mädels aus argen Familien gekannt, arm, aber tapfer. Es waren immer Typen, die sie gebrochen haben. Ihnen drohten, sie schlugen, auf den Strich schickten, um ihre fetten Autos zu finanzieren.“
Diskutieren bringt nichts. Das war die Erkenntnis, irgendwann 2008. Agieren war angesagt. In Hurenkleidern gingen die Mädels raus. Schrien: „Die Ukraine ist kein Bordell!“ All ihre Wut in einem Satz. Die Medien berichten, die Mädels verstehen: Provokation – das ist der Schlüssel. Und wie? Vorbeigehen an all den Plakaten reicht. Spärlich bekleidete Frauen, die mit ihrem Körper für alles werben, was sich irgendwie verkaufen lässt – vom Klopapier bis zum Hundefutter. „Das ist die Waffe“, sagt Inna und quetscht dabei ihre Brüste unter dem engen weißen T-Shirt zusammen.
2009 dann der erste nackte Protest gegen Internetpornos. Die Mädels noch schüchtern, die Reaktionen aber gewaltig. „Klar ist es für jede Frau eine Überwindung, sich nackt auf den Hauptplatz zu stellen und zu brüllen. Aber es hilft, sich dabei als Soldatin im Kampf zu fühlen. Mit meinem Körper als Dienstuniform. Und mit dem Gedanken, kein Objekt für Männer zu sein.“
„Morgen, 9.30 Uhr“, sagt nun Oxana, zufrieden auf den fertigen Schaumstoffpenis blickend, „oben über dem Maidan, auf der Aussichtsplattform.“ So läuft es immer. Journalisten werden Ort und Zeitpunkt gesteckt, mehr nicht. Dann brüten die Mädels über einer selbst gezeichneten Karte, diskutieren Abläufe, erstellen einen Schlachtplan. Drei Jahre Femen, das ist längst mehr als der Kampf gegen Prostitution. Feministinnen luden sie nach Italien und Frankreich ein, wo es gegen „Bunga Bunga“-Berlusconi und „Zimmermädchen-Verzahrer“ Strauss-Kahn ging. Der Unterschied zur Ukraine? „Dort werden wir wenigstens nicht verhaftet.“
Schlimmeres geschah hingegen im weißrussischen Winter, wo Femen Ende 2011 gegen Diktator Lukaschenko auf die Straße ging. Kaum war der Protest beendet, schienen die Mädchen verschollen. Bange Stunden, keiner wusste etwas. Dann tauchten sie auf. Mit geschorenen Köpfen, völlig verängstigt, in einem Wald bei Kälte ausgesetzt. „Die Strafe des dortigen KGB“, sagt Inna, deren Mutter anfangs nur weinte, als sie erfuhr, was die Tochter macht. „Bei uns protestiert man nicht, schärfte sie mir ein. Heirate lieber, Kind.“
Inna sitzt in ihrem Zimmer in einem Plattenbau der Kiewer Vorstadt. Den Job im Pressebüro des Bürgermeisters war sie nach ihrer ersten Nacktaktionlos. Viele Freunde ebenso. „Aber dafür gewann ich etwas: einen Sinn, eine Aufgabe, eine Mission.“ Klar, das klingt theatralisch, aber vielleicht tun diese Mädchen mehr für ihr Land, als es eine Generation Politiker 20 Jahre seit dem Ende der Sowjetunion getan hat. „Timoschenko? Mit der habt ihr im Westen nun alle Mitleid“, sagt Inna mit verächtlichem Blick. „Und, was hat sie gemacht? Mit der Revolution? In ihren Jahren als Premierministerin? Eine Gehilfin der Oligarchenclans, denen sie selbst angehört, war sie. Sonst nichts. Und jetzt, wo die andere Seite an der Macht ist, zahlt sie die Rechnung dafür. So läuft das bei uns in der Ukraine.“ Sie berichtet von Tausenden Dollar, die den Mädels geboten wurden, um ihren Protest gegen die jeweils andere Seite zu richten. Die Antwort? „Net, spasiba.“
Vom Plattenbau zum Pin-up.
9.30 Uhr über dem Maidan, Kiews Hauptplatz. Vor uns: die EM-Maskottchen Slavek und Slavko als Blumenbeet. Zwischen den Beinen der EM-Buben: Sascha und Julia, oben ohne und mit den Schaumstoffpenissen auf dem Kopf. Still stehen sie da, während Oxana „Fuck Euro“ ins Gras sprüht. Die Kameraleute filmen, die Fotografen blitzen, die Polizisten lassen nicht lange auf sich warten. Ganze 2 Minuten 20 dauert es, bis sie auftauchen, die zierlichen Mädels packen, diese „Fuck Euro“ brüllen und sich händeringend wehren. Inna, das Mastermind, steht angezogen hinten, deutet den Mädels, lauter zu schreien. „Die Ukraine wird durch die EM zum größten Bordell Europas“, sagt sie nun in die TV-Kameras, „die Mafia verdient Millionen, die Regierung schneidet mit – aber eine Frau, die nichts tut, außer nackt dagegen zu protestieren, wird verhaftet.“ Und jetzt, wo sie Sascha über die Straße zum Arrestantenwagen schleifen, zeigt sich, dass es Mut und viel Wut braucht, um Femen zu sein.
Stunden später stehen sie vor Gericht. Draußen wird an der Fanzone gehämmert, während drinnen ein mildes Urteil gefällt wird. „Diesmal“, sagt Oxana, die noch vor zwei Wochen in Moskau im Gefängnis saß. „Mit Drogensüchtigen und Tbc-Kranken. 12 Tage, weil ich nackt Putins Wahlurne stehlen wollte, um auf den Wahlbetrug aufmerksam zu machen.“ Wenn es schlecht läuft für die Mädchen, drohen ihnen in der Ukraine fünf Jahre Haft wegen „Hooliganismus“. „Aber das trauen sie sich nicht – hoffentlich.“
Nachts, zurück im Hotel. Das Telefon läutet wieder. Viermal, fünfmal. Dann, nach dem sechsten Mal, verstummt es.
Erschienen in NEWS 23/2012