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Wladimirs Vertreibung aus dem Paradies

Party feiernde Russinnen in Limassol (Foto: Heinz S. Tesarek)

Party feiernde Russinnen in Limassol (Foto: Heinz S. Tesarek)

Partynächte, Geldwäsche und die Konten voller Milliarden. Für die 60.000 Russen lief es auf Zypern lange wie geschmiert. Nun aber sollen sie die Zeche für die Pleite-Insel zahlen und schwören Rache.

Es hätte eine Nacht wie immer werden können. Kristina und ihre Freundinnen tragen die Röcke kurz und das blonde Haar lang. Ihre Gläser sind voll und die Kreditkarten der Papas gedeckt. Draußen vor dem Klub, in dem sich die jungen Russinnen vergnügen, beträgt die Temperatur angenehme 17 Grad, und drinnen geht es heiß her. Doch während Kristina in der zypriotischen Hafenstadt Limassol ihre Hüften kreisen lässt, sollte sich im fernen Brüssel die Zukunft ihres Vaters entscheiden. „Ach was, das wird schon nicht so schlimm kommen“, sagt die 18-Jährige, „wir haben genug Geld.“

Vorne an der Bar lehnen zwei weitere Blondinen. Vicky und Lelde aus Lettland bewerten die Lage schon drastischer. „Wir arbeiten beide für russische Firmen hier. Das Business lief gut, aber …“, und nun beugt sich Vicky nach vor, kommt näher und flüstert mir trotz des dröhnenden Discolärms leise ins Ohr, „… vieles ist Schwarzgeld. Wenn das Modell kaputtgeht, sperren die Chefs die Firma einfach zu, und wir sind unsere Jobs los.“

Moskau am Mittelmeer.

Das Modell? Viel wird in diesen Tagen noch davon die Rede sein. Und die Russen? Hier in Limassol, Zyperns zweitgrößter Stadt, befindet sich ihr Moskau am Mittelmeer, ihr kleines Paradies fernab der frostigen Heimat.

„Europas Steuerzahler retten russische Oligarchen“ – das war die Schlagzeile, die es in dieser Nacht zu verhindern galt. Und so wurde in Brüssel ein Plan geschmiedet, der alles verändert, was auf dieser Insel zuletzt zählte. Mehr als eine Woche hatte das Ringen um das Land am Abgrund gedauert. Eine Insel, traumhaft schön und alptraumhaft verschuldet. Ein Drittel der Einwohner Wiens, aber ein Bankensystem, so aufgebläht, dass es die siebenfache Wirtschaftsleistung des Ministaats ausmacht. Und daran haben auch die 60.000 hier lebenden Russen ihren Anteil. Deren geschätzter Kontostand bei den Insel- Banken: 26 Milliarden Euro!

Schon in den frühen 90er- Jahren landeten am Airport von Larnaca die ersten Flugzeuge aus der Kälte mit Koffern voller Geld. Die Inhaber: Raubritter des modernen Kapitalismus russischer Prägung, die binnen kürzester Zeit Millionen machten und bald nur noch eins suchten: Sicherheit. Manchen drohte zuhause längst das Straflager. Auf Zypern hingegen begaben sich viele in die Hände erfahrener Schönheitschirurgen, die ihre Gesichter möglichst weit von den Fahndungsfotos wegoperieren sollten.

Rasch hatten die Geldkoffer ausgedient, seriösere Steuerflüchtlinge pendelten fortan völlig legal zwischen Moskau und der Insel – dort das Geldverdienen, hier das Ausgeben und Erholen. Die Transaktionen dazu liefen nun online: Russland, Karibik, Zypern lautete das gängige Modell. Ein Klick in Moskau, ein neuer Kontostand in Limassol. Hier fragt keiner viel nach, es werden kaum Informationen preisgegeben, die Steuern dafür niedrig gehalten – ein „Offshore“- Paradies, fernab der Fänge lästiger Steuerfahnder. Und als Draufgabe gab’s für Investitionen ab 15 Millionen Euro als Einstandsgeschenk die zypriotische Staatsbürgerschaft. Diese bot seit dem EU-Beitritt Zyperns 2004 den Russen den Vorteil, künftig ohne Visum durch ganz Europa reisen zu können.

Bier, Borschtsch, Bordelle.

Zypern, das war für lange Zeit die größte Geldwaschmaschine im ganzen Mittelmeer und Limassol das dazupassende Weichspülprogramm.

Als die Konten der Russen befüllt und die Villen bezogen waren, ging es erst richtig los, das ausschweifende Leben im Paradies. Vorhanden ist alles, was der Russe so braucht – vom Supermarkt voller Piroggen, Borschtsch und Baltika- Bier bis hin zur Videothek, gefüllt mit den neuesten russischen Filmen.

Wer die vertrauten Klänge aus der Heimat vermisst, hat die Auswahl zwischen zwei russischen Radiosendern. Dazu erscheinen etliche Magazine voller Anzeigen von Armani, Chanel und Co, die den betuchten Begleiterinnen der „Businessmeni“ den Weg in die nächste Boutique weisen. Und dem Ehemann stehen, sofern er denn will, entlang der Strandpromenade zahlreiche sogenannte „Gentlemen Clubs“ zur Verfügung, wo sich meist freizügige Frauen aus den Ex-Sowjetstaaten verdingen. „Es ist alles wie in Moskau – nur ohne Schneesturm und dafür mit Palmen“, sagt Anastasia, während sie im „Rusmarket“ die Wodka-Bestände auffüllt.

Zypern weint, Putin zürnt.

Und dann der nächste Tag. Der vergangene Montag. Das Aufwachen in einer anderen Welt. Es ist wie nach einer Nacht, in der alles zu viel war. Die Drinks, die Mädchen, die Rechnung zum Schluss.

Ob dem Partygirl Kristina der Schädel dröhnt, bleibt unklar, bei ihrem Vater stellt sich angesichts des in Brüssel Beschlossenen aber sicherlich Brechreiz ein. Die Fakten, kurz gefasst: die zweitgrößte Bank des Landes – in den Bankrott geschickt. Wer mehr als die von der Einlagensicherung geschützten 100.000 Euro dort lagerte, wird wohl alles verlieren. Die größte Bank des Landes – mit weiteren Lasten überladen, Reiche werden bis zu 40 Prozent ihrer Guthaben kaum mehr wiedersehen. Und das Modell? Das Offshore-Paradies? Aus und vorbei. Die EU hat Ernst gemacht. Do swidanja.

Das Fernsehen zeigt die Gesichter weinender Zyprioten – Menschen, die bereits ahnen, dass vor ihnen ein tiefes Tal der Tränen liegt. In Limassol hingegen scheint Wut die erste Reaktion. Zumindest die, die aus dem Fernseher kommt. Dort laufen in den russischen Lokalen die Sender aus der Heimat. Zwischen den Berichten über Schneestürme in Moskau ist einer stets präsent: Wladimir Putin, der Präsident, erzürnt über den „offenen Straßenraub an den Russen durch die EU“. Und die hiesigen Russen selbst?

In der noblen Marina wiegen sich die Yachten im türkisfarbenen Meer. Dort, wo schon Multimillionär Roman Abramowitsch angelegt hat, um die Baufortschritte bei seiner nahe Limassol gelegenen Villa zu begutachten, ist keiner anzutreffen. Außer dem Sicherheitspersonal, das die Boote vor genauerer Begutachtung beschützt. Also hinauf zu den Häusern der Russen …

„Die erschießen euch!“

„You are crazy! They will shoot you!“ (Ihr seid verrückt! Die erschießen euch!) Die Warnung war eindeutig und bot keinen Raum für Interpretationen. Sie kam aus einem langsam vorbeifahrenden Auto, dessen zypriotischer Fahrer sich Sorgen zu machen schien. Um uns. Als wir mit Kamera und Block durch das Beverly Hills der reichen Russen marschieren.

Die Bastion der Protzer heißt Kalogiri, liegt hoch über dem Meer, auf einem Hügel mit palmenbestandenen Alleen. Alle haben sie hier Hunde, blickdichte Zäune und eine Vorliebe für viel Kitsch in der Architektur. Ihre Häuser wirken wie Festungen, mit kleinen Türmchen an den Ecken, großen Satellitenschüsseln auf dem Dach und Kameras rundherum. In den Auffahrten zu ihren Anwesen parken flotte Sportkarossen neben schweren Geländewagen. Wer da ist, schweigt. Muss beim Gedanken, mit dem Foto in der Zeitung zu sein, im besten Fall lachen und im schlimmsten drohen.

Einer hat schließlich doch nichts zu verbergen, gibt sich seriös und sauber: Er stellt sich als Wladimir vor, erzählt, aus dem Ural zu stammen, ein nicht genauer zu definierendes Business zu betreiben und seit 15 Jahren zwischen Moskau und der Insel zu pendeln. Dass dieses Business nicht unerfolgreich verlaufen dürfte, beweist seine ockerfarbene, von Säulen umrankte Villa, die direkten Blick aufs Meer bietet. Er selbst gibt sich bescheiden und analysiert nüchtern: „Wir Russen nutzten die Chancen, die sich hier boten. Gut, die Zyprioten hatten ein Wirtschaftsmodell, und wir profitierten davon. Aber all das war legal und brachte Zypern viel Geld. Dass deren Banken dieses Geld in griechische Staatsanleihen investierten, war dann wohl nicht sehr klug von ihnen.“ Erstmals huscht ein kurzes Schmunzeln über sein Gesicht, welches beim nächsten Satz schon wieder vergessen scheint.

Die Räuber von Moskau.

„Was nun geschieht, ist blanker Raub. So als ob ich nachts in Moskau mit viel Geld in der Tasche auf der Straße überfallen werde. Habe ich das Geld an mehreren Plätzen am Körper verteilt, kann ich von Glück sagen, wenn der Räuber nicht alles findet und mir nur die Hälfte abnimmt – aber ein Raub bleibt es trotzdem.“

Und die Folge? Wladimir sagt nur ein Wort: „Zorn.“ Und Rache? „An wem? Der EU? Den Zyprioten? Klar, das Modell, das Zypern zu Reichtum verhalf, ist nun kaputt, und jeder, der ein halbwegs guter Geschäftsmann ist, wird die Konsequenzen daraus ziehen. Es gibt genügend Plätze auf der Welt, wo unser Vermögen noch geschätzt wird, und dorthin wird es wandern.“

Die geschröpften Russen, sie werden Rache nehmen. Still und heimlich Wege finden, wie sie trotz Kontrollen viel vom verbliebenen Geld schleunigst von der Insel bringen. Manchen ist das noch vor der Bankensperre gelungen, die anderen sitzen mit geballter Faust auf den Hügeln über Limassol. Blicken auf ein Land, das trotz „Rettung“ dem Abgrund entgegentaumelt. Wo die Schlangen vor den Banken länger werden, Polizisten Position beziehen und Tausende Unternehmer nicht mehr wissen, wie viel von ihrem Kapital auf den Konten noch übrig ist.

Vielleicht ist es so, wie Vater Sergej, der russisch-orthodoxe Priester auf Zypern, am Sonntag, dem Tag vor dem Donnerschlag, in der Messe ausführte: „Der Glaube an schnelles Geld, einhergehend mit der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer, war und ist Laster und Sünde.“

Erschienen in: NEWS 13/2013

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