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„Ich bin lieber tot als verheiratet“

Nada al Ahdal beim Skype-Interview

Nada al Ahdal beim Skype-Interview

KINDERBRAUT. Ihr berührendes Youtube-Video machte sie auf der ganzen Welt bekannt: Die kleine Nada aus dem Jemen klagte ihre Eltern an, weil sie gegen ihren Willen einen 40 Jahr älteren Mann heiraten sollte. NEWS fand als erstes Medium das untergetauchte Mädchen.

Es ist eine Geschichte, die es nicht geben darf. Die nicht wahr sein kann. Die erfunden sein muss. Zu grausam ist ihr Inhalt, zu erschreckend ihre Wirkung. Da ist dieses kleine Mädchen. Es spricht direkt in eine Kamera. Die großen braunen Augen weit aufgerissen, der Blick flehend, die Stimme aber stark und stolz. Knapp zweieinhalb Minuten spricht das Mädchen in diesem Video. Mal wütend, mal anklagend, mal scheinbar selbst davon überrascht, wie viel Mut und Kraft in seinen Worten stecken.

Sie heißt Nada, erfahren wir, ein Mädchen aus dem Jemen, das gerade einmal elf Jahre alt ist und das seine Angst überwunden hat. Sie fasst das Unfassbare in Worte, sie gibt dem Unglaublichen ein Gesicht. Sie ist eine Kinderbraut, ein Mädchen auf der Flucht – auf der Flucht vor seinem Schicksal, vor den eigenen Eltern, vor dem, was in dieser Region Kindern droht, lange bevor sie noch erwachsen geworden sind.

„Warum verheiratet ihr uns?“

„Ja, es ist wahr“, sagt Nada in dem Video, „ich bin von zu Hause weggelaufen. Ich kann nicht mehr mit ihnen leben. Genug!“ „Was haben die Kinder falsch gemacht“, fragt sie, „warum verheiratet ihr sie einfach so?“

„Macht nur, verheiratet auch mich“, sagt sie schließlich, „dann bringe ich mich um!“

Es ist ein Video, das die Welt aufrüttelt. Anfang Juli stellt es Nadas Onkel, zu dem sie geflohen ist, auf die Video- Plattform YouTube. Dort bleibt es anfangs weitgehend unbemerkt, da Nada Arabisch spricht und die Übersetzung fehlt. Für diese sorgt erst eine islam-kritische Organisation mit Verbindungen nach Israel. Die Übersetzung ist korrekt, doch die Intention offensichtlich. Egal. Medien, von der New York Times bis zur Bild-Zeitung, werden auf das Video aufmerksam. Berichten und stellen den Link online. Das Er- gebnis: mehr als acht Millionen Menschen sehen Nadas Anklage binnen weniger Tage.

Doch dann die ersten Zweifel. Ein so junges Mädchen, das sich so gut artikulieren kann? Das von der „Unschuld der Kinder“ spricht, das sagt, dass Eltern wie die seinen „den Kindern die Träume töten. Alles in uns töten.“ Spricht so ein Kind? Ist vielleicht alles inszeniert?

Jede zweite Braut ein Kind.

Aber andererseits: In Nadas Heimat, dem Jemen, sind Zwangsehen Alltag. Schon achtjährige Mädchen sollen dort verheiratet worden sein. Jede zweite Braut ist minderjährig, und kaum einen kümmert das. Das Gesetz gibt den Männern alle Macht und macht aus Mädchen Opfer und Ware zugleich. Erst kürzlich starb eine 13-jährige Kinderbraut wenige Tage nach der Hochzeit an Vaginalblutungen. Eine andere, gerade zwölf geworden, bei der Geburt ihres ersten Babys…

„Warum glaubt ihr mir nicht?“

NEWS will wissen, was wirklich geschah. Wovor Nada floh, welche Rolle ihr Onkel spielt und wie es dem Mädchen jetzt, sechs Wochen nachdem das Video online ging, tatsächlich geht. Wir recherchieren im Jemen, knüpfen Kontakte und hoffen, mit der Person zu sprechen, um die es geht – Nada selbst.

Vor zwei Wochen zeigt der Sender CNN ein Video – darin Nada und ihre Eltern beim Versuch, die Sache zu schlichten. Die Mutter voll verschleiert, der Vater in Stammestracht und bloßfüßig – beide bestreiten die Vorwürfe. Nada weint in dem Video, schreit voll Verzweiflung in Richtung der Schlichterin – „warum glaubt ihr denen und nicht mir?“ Dann endet das Video.

Und NEWS gelingt es, Nada zu finden. Mit ihr zu sprechen. Als erstes Medium. Von Angesicht zu Angesicht. Über Video und über eine Stunde lang. Vor uns sitzt ein tapferes Mädchen, das untergetaucht ist.

NEWS: Nada, wie geht es Dir?

Nada al-Ahdal: Es geht mir gut. Ich bin glücklich. Von wo rufst Du denn an?

NEWS: Aus Österreich, das ist in Europa. Wo bist Du nun, Nada? Was ist passiert?

Nada: Hmm, Europa – das muss weit weg sein. Ich bin hier bei meinem Onkel Abdul- Salam. Aber ich darf nicht sagen, wo genau. Das ist zu gefährlich.

NEWS: Wieso ist das gefährlich?

Abdul-Salam (ihr Onkel huscht ins Bild und stellt sich vor): Wir haben Drohungen erhalten, von Islamisten, von religiösen Grup- pen, von vielen Leuten. Sie wollen, dass diese Geschichte endet, dass wir schweigen, dass nichts nach außen dringt. Aber ich möchte nicht näher über diese Drohungen sprechen, so lange Nada im Zimmer ist.

NEWS: Nada, erzähl uns doch, wie Du aufgewachsen bist.

Nada: Ich habe sieben Geschwister, drei Brüder und vier Schwestern. Wir haben am Rande von Sanaa gelebt. Das war nicht so eine schöne Zeit. Manchmal hatte ich Hunger, es gab nicht viel zu essen. Auch für Schuhe hat das Geld nicht gereicht. Meine Eltern waren nicht immer gut zu mir, ich musste sie bedienen, und sie haben mich oft geschlagen. Aber den Sommer durfte ich immer bei meinem Onkel Abdul-Salam verbringen. Darauf habe ich mich das ganze Jahr gefreut. Er wohnt im Zentrum von Sanaa, arbeitet als Grafiker und Techniker bei einem Fernsehsender. Ich habe ihn manchmal ins Studio begleiten dürfen, und er hat mich auch in Computerkurse geschickt. Das war toll. Ich mag nämlich die Schule und Computer. Als es daheim immer schlimmer wurde, hat Onkel Abdul vor zwei Jahren vorgeschlagen, ob ich nicht ganz bei ihm bleiben dürfte. Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich mir nichts im Leben mehr wünsche, als mit ihm zu sein, und irgendwann haben sie es mir erlaubt.

NEWS: Das heißt, Du hast schon die vergangenen zwei Jahre bei Deinem Onkel gelebt?
Nada: Ja, bei Abdul-Salam und meiner Großmutter, die ist schon alt, und um die hat er sich auch gekümmert.

NEWS: Wie ist es nun zu dem Video auf Youtube gekommen?

Nada: Ich war immer wieder für ein paar Tage bei meinen Eltern, so auch Anfang Juli. Ich war nie gern dort, aber na ja.      Als ich dann bei ihnen war, habe ich am Abend gehört, wie Mama und Papa über mein Brautgeld gesprochen haben. Sie haben gesagt, dass sie das Angebot eines reichen Mannes aus Saudi-Arabien hätten, der viel Geld bezahlen würde.

NEWS: Woher weißt Du, dass Dich Deine Eltern wirklich verheiratet hätten?

Nada: Weil es bei uns immer so ist. Meine Mama hat so jung heiraten müssen, meine Tante genauso. Sie war 14, ich habe das in dem Video erzählt. Ihr Mann hat getrunken und sie geschlagen, ganz schlimm. Sie war so verzweifelt, sie wollte nicht mehr leben und hat sich am Ende mit Benzin übergossen. Aber ich will das nicht, bevor ich auch heiraten muss, bringe ich mich um, das weiß ich ganz genau! Darum bin ich davongelaufen.

NEWS: Wohin bist Du gelaufen?

Nada: Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und mir überlegt, was ich machen soll. In der Früh, als noch keiner wach war, bin ich raus und zu Fuß zurück in die Stadt, zu Onkel Abdul- Salam. Aber er war nicht daheim, ich konnte ihn nicht e reichen. Also habe ich Abdul- Jabbar angerufen, das ist der Manager bei der Mädchen-Band, in der ich mitmache. Ich habe geweint und ihm alles erzählt, da hat er mich abholen lassen.

NEWS: Wie kam es zum Video?

Nada: Das war so: Meine Eltern haben später behauptet, Onkel Abdul-Salam hätte mich entführt, aber das stimmt nicht, ich bin weggelaufen. Ich wollte nicht, dass die Leute schlecht von ihm reden, daher habe ich die Idee gehabt, alles so zu erzählen, wie es wirklich war. Und Abduljabbar, der Band-Manager, hat mich gefilmt und das Video gemeinsam mit Onkel Abdul ins Internet getan.

NEWS: Das heißt: Keiner hat Dir bei dem Video geholfen, Dir etwas vorgesprochen? Du hast das ganz alleine gemacht?

Nada: Nein, niemand. Ich sage darin einfach, was ich denke und fühle. So ist es doch. Oder ist es bei euch etwa normal, uns Kinder zu verheiraten? Wieso glauben alle, dass ich das nicht alleine sagen kann?

NEWS: Warum hat dann die Or-anisation, die den Streit mit Deinen Eltern schlichten sollte, gesagt, dass sie Zweifel haben?

Nada (wird laut): Warum glaubst Du denen? Es macht mich so traurig. Wenn es nicht stimmt, was ich sage, warum wird dann meine Schwester, die ein Jahr älter ist als ich, in ein paar Wochen verheiratet? Warum werden so viele Kinder verheiratet, warum bringen sich so viele von ihnen um und keiner tut etwas dagegen?

Abdul-Salam: Darf ich auch etwas dazu sagen? Ich glaube, viele im Jemen haben ein Interesse daran, dass Nada niemand glaubt. Gerade wird hier darüber diskutiert, ob ein Gesetz eingeführt werden soll, das ein Mindestalter von 17 für die Ehe vorsieht. Natürlich sind alle religiösen Gruppen dagegen und wollen es verhindern. Da können sie eine Diskussion über Nada nicht gebrauchen und machen entsprechend Druck auf Organisationen, die sie anfangs unterstützten. Es ist hier nicht üblich, dass Mädchen sich wehren – und schon gar nicht so junge wie Nada, das ist die vollkommene Ausnahme und Nada ist so unglaublich tapfer. Ich verstehe nicht ganz, weshalb man ihr nicht glaubt, denn selbst ihre Eltern haben doch bestätigt, dass sie vorgehabt hätten, Nada zu verheiraten.

NEWS: Nada, warum wollen so viele Männer in Eurem Land überhaupt Kinder heiraten?

Nada: Weil es immer schon so war. Weil die Leute hier arm sind und es eben so gehandhabt wird. Aber es ist schrecklich, die Mädchen können dann nicht mehr zur Schule gehen, man nimmt ihnen alles, ihre Träume, ihr ganzes Leben.

NEWS: Welche Rolle spielt die Religion, der Islam?

Abdul-Salam: Vielleicht sollte ich diese Frage beantworten. Ich glaube, der Islam dient nur als Ausrede. Viele Menschen legen ihn nach ihren Bedürfnissen aus und interpretieren Dinge hinein. Aber von Zwangsheirat steht kein Wort im Koran.

NEWS: Mehr als acht Millionen Menschen auf der ganzen Welt haben Dein Video gesehen. Was möchtest Du Ihnen sagen?

Nada: Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viele Leute das sind. Ich danke ihnen, dass sie mich unterstützen, mir helfen, mir Kraft geben. Aber es geht nicht nur um mich, ich habe mein Problem hoffentlich gelöst, es geht um die vielen anderen Kinder genauso.

NEWS: Was wünscht Du Dir für die Zukunft?
Nada: Am allermeisten wünsche ich mir, dass ich bei meinem Onkel bleiben darf, das wünsche ich mir wirklich von ganzem Herzen. Und dann natürlich auch, dass ich weiter zur Schule gehen kann, in den Computerkurs und mit meiner Band auftreten darf.

NEWS: Und wenn Du einmal groß bist, was möchtest Du dann sein?

Nada: Ein Star! Ich möchte auftreten, singen, den Menschen eine Freude machen. Und ich möchte mich um andere Kinder kümmern. Etwas dafür tun, dass sie in die Schule gehen können, eine Ausbildung bekommen. Ich möchte dafür kämpfen, dass Kinder nicht mehr heiraten müssen, dass sie ein normales Leben haben.

NEWS: Willst Du im Jemen bleiben oder lieber weg von dort?

Nada: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Vielleicht ist es anderswo besser, jetzt, wo es so gefährlich bei uns ist. Ja, wahrscheinlich ist es woanders sicherer.

NEWS: Aber hast Du Angst, fürchtest Du Dich?
Nada: Nein, so lange mein Onkel bei mir ist, habe ich keine Angst. Er passt auf mich auf!

NEWS: Abdul-Salam, wie geht es jetzt für Sie und Nada weiter? Was sagen Nadas Eltern?

Abdul-Salam: Ihr Vater hat vor wenigen Wochen zugestimmt, dass Nada bei mir in Sanaa bleibt, später dies aber wieder in Frage gestellt. Ich weiß es also nicht. Ich bin verlobt und werde in wenigen Monaten he raten, das wird wohl gut für Nada, da sie dann auch eine Frau, die sie mag, in ihrer Nähe hätte. So hoffe ich, dass sich alles zum Guten wenden wird, Inschallah.

Nada: Ich bin schon einmal weggelaufen, und ich würde es wieder tun. Keiner kann mich zwingen. Ich will bei meinem Onkel sein, in die Schule gehen. Es kann doch meine Eltern nicht glücklich machen. wenn ich unglücklich bin.

Erschienen in NEWS 13/2013

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