Tschechiens Ex-Außenminister, Fürst Karel Schwarzenberg (Foto: Ricardo Herrgott)
Es ist kurz vor Mitternacht und wir sind in einer Bierstube in der Prager Vorstadt. Karl Fürst zu Schwarzenberg, Jahrgang 1937, zieht von einem der wuchtigen Holztische zum nächsten. Der „Herr Fürst“, wie sie ihn hier mehr liebevoll als ehrfürchtig nennen, will zuhören. Erfahren, wo der Schuh drückt, was die Menschen denken. Aber ihnen nach dem Mund reden? Das Blaue vom Himmel versprechen? Das fiele ihm im Traum nicht ein, so schlecht können die Umfragen gar nicht stehen. Und dafür schätzen sie ihn.
Politik prägte schon immer sein Leben: Er entstammt einem der ältesten Geschlechter der Monarchie, musste 1948 vor den Kommunisten auswandern und lebte 40 Jahre in Wien, wo er bald höchste Kontakte pflegte. Nach der Wende kehrte er nach Prag zurück, war bis vor kurzem Außenminister und ist bei den Wahlen am Freitag in einer Woche erneut Spitzenkandidat seiner konservativ-liberalen Partei TOP 09. Bittere Wahrheiten scheute er nie. Und so verwundert es nicht, dass er sich im NEWS-Interview, welches kurz vor seinem Aufbruch in Prags Bierstuben stattfand, kein Blatt vor den Mund nimmt. Den Finger in die offenen Wunden von ÖVP und SPÖ legt, sich Gedanken über das „Angfressensein“ der Leute macht, über Polit-Gauner spricht und sagt, wieso Geld nicht nur der Liebe, sondern auch der Politik schadet.
NEWS: Hände schütteln, sich auf die Schulter klopfen lassen, Bier trinken und nachts durch Lokale ziehen. So ein Wahlkampf ist anstrengend, Sie sind 76. Wieso tun Sie sich das an?
Karl Schwarzenberg: Wie bitte? Antun? Nein, ich sehe es als meine Pflicht an. So wurde ich erzogen und es freut mich, diesem Land dienen und etwas zurückgeben zu können, egal ob nun in der Regierung oder der Opposition. Und dann gibt es da noch diesen einen Herrn auf der Prager Burg, der mich zusätzlich motiviert.
NEWS: Sie meinen Miloš Zeman, gegen den Sie im Frühjahr nur knapp in der Wahl zum tschechischen Präsidenten unterlagen?
Schwarzenberg: Richtig. Es geht mir darum, den Rechtsstaat zu schützen, mich gegen seine, ja wie soll man sagen, etwas autoritären Anwandlungen zu stellen.
NEWS: Kürzlich sorgten Sie mit einem Interview für Aufregung, in dem Sie ÖVP-Chef Spindelegger mangelnde Zivilcourage vorwarfen. Der antwortete, dass Sie gern „große Töne spucken“ würden, aber…
Schwarzenberg (lacht): Ja, da hat er Recht, der Herr Spindelegger, das mache ich in der Tat gerne.
NEWS: …nur wenn es darauf ankäme, meinte er, würden Sie sich – wie im Fall des Waffenembargos in Syrien – in der entscheidenden Sitzung „schlafend stellen“.
Schwarzenberg: Das ist ein Blödsinn. Wir hatten unsere Syrien-Politik und Österreich die seine. Spindelegger wollte ja ursprünglich – zu Recht – den Abzug der Soldaten vom Golan verhindern, weil er wusste, dass das nicht gerade ein mutiger Schritt ist und nicht das beste Licht auf Österreich wirft. Daher hat er verzweifelt dafür gekämpft, dass das Embargo bleibt.
NEWS: Präsident Zeman regt an, dass nun Tschechien statt Österreich Soldaten auf den Golan schicken solle. Sind die Tschechen mutiger als die Österreicher?
Schwarzenberg: Nein. Nur haben die Tschechen keine „Kronen Zeitung“, vor der ein Kanzler oder Minister Angst hat und sich fürchtet, was die schreiben könnten, sollte ein Berufssoldat fallen. Das betrübt mich, gerade wenn man Kreisky erlebt hat und sich erinnert, welche Rolle Österreich außenpolitisch spielte. Und jetzt?
NEWS: Manche wenden ein, das sei damals unter Kreisky eine andere Zeit gewesen. Heute hätte ein kleines Land wie Österreich in der EU kaum noch Möglichkeiten.
Schwarzenberg: Ach, ist Österreich leicht seit Kreisky in der Fläche weiter geschrumpft? Ist mir gar nicht aufgefallen. Nein, es fehlt allein am Willen.
NEWS: Sie waren über Jahrzehnte der ÖVP zugetan. Angenommen, Sie wären wahlberechtigt, hätte die Volkspartei diesmal Ihre Stimme bekommen?
Schwarzenberg: Ich weiß es nicht. Ich hätte mir wohl, wie einige meiner bürgerlichen Freunde in Österreich, die NEOS zuvor genauer angeschaut und dann entschieden. Ich habe lange nicht an den Erfolg einer liberalen Partei in unseren beiden Ländern geglaubt. Als sich vor zwanzig Jahren das Liberale Forum gründete, wurde ich gefragt, ob ich ihnen helfe. Und ich habe gesagt, dass es sogar zukunftsreicher wäre, meine Zeit zur Gründung einer Bananenplantage in Murau zu verwenden als für den Aufbau einer liberalen Partei.
NEWS: Hat Sie Österreichs Wahlergebnis letztlich überrascht?
Schwarzenberg: Eher betrübt. Denn, ohne dass Herr Strache viel dafür getan oder gar geleistet hätte, hat er so zugelegt. Der Haider hatte, bei aller Gegnerschaft und Kritik meinerseits, zumindest noch neue Ideen und frischen Wind reingebracht. Strache braucht nicht einmal mehr das, weil die Regierungsparteien schon so schwach sind.
NEWS: Warum ändert sich dann in den gar nicht mehr so großen Parteien nichts?
Schwarzenberg: Mit Verlaub, durch den wen denn? Es ist ja keiner mehr da. Zum Glück hat es sich in Österreich noch nicht, wie neulich in Libyen, durchgesetzt, dass ein Kommando den Premier entführt. Stellen Sie sich vor, das würde passieren und Faymann und Spindelegger wären plötzlich weg. Wer wäre da noch? Ja, es gibt Pröll und Häupl, aber das ist ja leider schon eher meine Generation. Aber sonst? Wie sagen die Deutschen so schön: Nach hinten fällt der Bulle ab. Ich habe lange geglaubt, in der Salzburger Landeshauptfrau eine solche neue Person zu sehen, aber das ist ja auch eher unversehens zu Ende gegangen. Wenn das so weitergeht, wird das nächste Mal ein begabter Orang-Utan, der eine Partei gründet, gewählt. Und zwar, weil die Leute enorm angfressen sind vom Stillstand. Am Ende verbleiben den Parteien nur noch jene Wähler, die von diesem Stillstand profitieren, aber gerade die Jungen laufen ihnen in Scharen weg.
NEWS: Was braucht es, um diese Entwicklung umzukehren?
Schwarzenberg: Politiker von Format. Ich habe bis auf Karl Renner und viel später Viktor Klima alle österreichischen Bundeskanzler persönlich gekannt. – was ist ein Faymann und ein Spindelegger im Vergleich zu einem Kreisky oder Raab? Das war eine ganz andere Qualität.
NEWS: Und heute gibt es solche Charaktere nicht mehr oder tun sich solche Leute Politik einfach nicht mehr an?
Schwarzenberg: Es gibt weder überzeugte Sozialdemokraten mehr noch Christdemokraten. Die Inhalte sind vollkommen verloren gegangen. Es gibt zwar noch Anhänger der Parteien, aber Anhänger haben auch der SK Rapid oder die Wiener Austria, was fehlt ist die Vision und die Überzeugung. Wenn das so weitergeht, enden wir wie im alten Byzanz, wo auch zwei Parteien gegeneinander kämpften: die Blauen und die Grünen. Nur das waren bloß noch die Farben der Rennställe der damals populären Wagenrennen.
NEWS: Was braucht es, um Menschen wieder für die Politik zu begeistern?
Schwarzenberg: Wohl am ehesten wirklich auch eine bessere Bezahlung. Politik ist ein undankbarer Job: Familie oder freie Wochenenden können Sie vergessen, das Gehalt ist im Vergleich zur Wirtschaft miserabel, in den Medien werden Sie geschimpft, also, wer tut sich das an? Außer vielleicht ein Phlegmatiker wie ich es bin.
NEWS: Aber bloß mehr Geld führt noch nicht zu einem Ende des Stillstands.
Schwarzenberg: Da haben Sie Recht. Auch das steirische Wahlergebnis wird die Wiener Koalitionsverhandler nicht gerade motivieren. Dort haben sie endlich einmal ihre Gegensätze überwunden und gemeinsam Reformen durchgezogen und prompt ist die FPÖ auf Platz 1. Das ist eine Katastrophe für Österreich.
NEWS: Angela Merkel hat hingegen gezeigt, dass man trotz Krise Wahlen auch gewinnen kann. Wo liegt der Unterschied?
Schwarzenberg: Richtig. Bislang wurden überall in Europa bestehende Regierungen abgewählt. Ich mache mir da gar keine Illusionen, auch meine Partei, die bis vor kurzem Regierungsverantwortung trug, wird dieses Schicksal erleiden. Merkel hat ihrem Volk scheinbar besser vermitteln können, dass sie es halbwegs unbeschadet durch die Krise gebracht hat. Zudem hat sie den Sozialdemokraten die besten Ideen geklaut. Im Grunde ist Merkel heute die beste sozialdemokratische Kanzlerin Europas.
NEWS: Tschechien wählt Freitag in einer Woche ein neues Parlament. Was sind die großen Themen im Wahlkampf?
Schwarzenberg: Natürlich das harte, aber durchaus ambitionierte Sparprogramm, das unsere Regierung umgesetzt hat und für das wir vermutlich abgestraft werden. Aber so ist es in der Demokratie nun einmal. Dann Bildung, Schulen, Kindergartenplätze und schließlich die Korruption.
NEWS: Quasi ein Evergreen. Haben Sie als Parteigründer mittlerweile ein Gespür für korruptionsanfällige Politiker entwickelt?
Schwarzenberg: Nein, das gibt es nicht. Ich kenne einen Politiker, bei dem ich es zuvor nie gedacht hätte. Zu einem erfolgreichen Gauner gehört auch die Fähigkeit, sich sehr gut verstellen zu können. Aber je mehr Bürokratie, desto größer ist die Versuchung, sie durch Korruption zu umgehen.
NEWS: Stimmen dürfte Ihnen auch ein slowakischer Milliardär kosten, der hier in Tschechien eine neue Protestpartei gegründet hat. Das scheint nach Frank Stronach langsam zum Trend in Europa zu werden.
Schwarzenberg: Es wirkt fast so. Wobei es im Leben zwei Dinge gibt, bei denen es kritisch wird, sobald Geld ins Spiel kommt: Liebe und Politik.
NEWS: Auf die Wahl folgen im Idealfall Koalitionsverhandlungen. Warum dauern die immer so lange?
Schwarzenberg: Man muss den Wählern ja glaubhaft vermitteln, zumindest gekämpft zu haben. Politik ist natürlich zu großen Teilen eine Show. Wären sich die Verhandler innerhalb einer Woche einig, sagen die Leute, „die Gfraster haben sich das eh schon vor der Wahl ausgemacht gehabt.“
Erschienen in NEWS 42/2013