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Zwischen Anarchisten und Armani

Boutiquebesitzer in Exarchia und Kolonaki (Fotos: Ricardo Herrgott)

Boutiquebesitzer in Exarchia und Kolonaki (Fotos: Ricardo Herrgott)

GRIECHENLAND. Exarchia ist Athens Anarcho-Hochburg. Kolonaki das feinste Viertel. Beide liegen Tür an Tür und erzählen mehr über Tsipras, Syriza und die leidige Schuldenkrise als alle Abendnachrichten. Eine Reportage als Grenzgang.

Die Vertäfelung ist aus feinem, dunklen Mahagoni. An der Wand hängen blank polierte Freimaurer-Orden des Großvaters. Darüber hat der Hausherr stolz seine Rallye-Trophäen platziert. Es ist ein edles Büro, in welches sich Giannis und Elena perfekt einfügen. Das Paar ist wohl das, was  sich gut situiertes Bürgertum nennt. Er im legeren Dandy-Look, sie in schlichter Eleganz.

Eine junge Mitarbeiterin kommt während unseres Gesprächs mehrmals herein. Legt wortlos Umschläge mit größeren Geldbeträgen im Tresor ab und eilt zurück in die Boutique. Die erstreckt sich über drei Ebenen und 600 Quadratmeter, auf denen feinster Zwirn auf Athener Männerkörper angepasst wird. Zu den Kunden von Giannis und Elena zählen Politiker und Banker, Magnaten und Reeder. Es ist Griechenlands Elite, die sich hier im „Ritzi” einkleiden lässt.

Zumindest tat sie das. Denn die Neuen halten wenig von den alten Konventionen. Premier Alexis Tsipras ist die Krawatte ebenso fremd wie seinem Land lange ein ausgeglichener Staatshaushalt. „Der Premier ohne Schlips, ein Finanzminister, der sich nicht mal das Hemd in die Hose stecken kann. Ich hätte niemals für diese Kerle gestimmt”, sagt Giannis und führt das nicht nur auf Stilfragen zurück. Zu ungehobelt, zu links, zu radikal war das für den 65-Jährigen, der sein ganzes Leben großbürgerlich dachte.

„Aber ich habe die Neuen in den letzten vier Wochen genau beobachtet, gut zugehört und, ich muss es zugeben, auch dazugelernt. Die Ansätze sind schlau, wenn die so weitermachen und uns aus dem Schlamassel rausführen…” Nun setzt Giannis ein spitzbübisches Grinsen auf, „…dann wähle ich die am Ende noch.”

Marxisten für die Mitte?

Der Ausstatter von Griechenlands Geldadel, der mit Syriza kokettiert? Einem Parteienbündnis aus Trotzkisten, Maoisten, einstigen Kommunisten und frustrierten Sozialisten, das bereits Nachahmer in Spanien und Portugal gefunden hat. Und selbst in Österreich Linke zum Grübeln bringt, wie viel Platz die SPÖ wohl links von sich lässt.

Wir sind in Kolonaki, Athens feinstem Viertel, und werden zu Zeugen eines Tabubruchs. Hier, zwischen exquisiten Geschäften vor denen teure Limousinen parken, und alles anfangs so wirkt, als gebe es keine Krise, vollzieht sich der Wandel von Syriza zur Volkspartei. 36 Prozent  wählten sie vor einem Monat, nun stehen schon „nordkoreanische” 87 Prozent der Griechen hinter Premier Tsipras. Und das, wie die linke Zeitung „Avgi” erhob, nach der Einigung auf Verlängerung der EU-Finanzhilfen um vier Monate. Der Kompromiss, der außerhalb von Hellas als Einknicken Tsipras‘ bewertet wurde, wird ihm daheim als Sieg ausgelegt.

Und das selbst vom Klassenfeind?

„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen”, eröffneten Marx und Engels ihr „Kommunistisches Manifest”. Die da oben gegen die unten. Das Kapital gegen die Arbeiter. Rechts gegen Links. Oder, auf Athen umgelegt, Kolonaki gegen Exarchia.

Der Klassenfeind als Nachbar.

Vom gediegenen Viertel der Oberschicht sind es nur wenige Straßenzüge bis hinab in den Hort der Anarchie. Schon ein paar Straßen hinter dem Kolonaki-Platz wechselt die Stimmung, verschwinden die Anzugträger, die Frauen in High Heels, die pakistanischen Hundesitter und asiatischen Nannys aus dem Straßenbild. Statt Patrizierhäusern und Orangenbäumen, auf einmal heruntergezogene Rollbalken und Graffiti. Ganze Gemälde voller Auflehnung gegen den Staat. „Fuck the Police”, zertrümmere das System, besiege die Herrschaft.

Exarchia ist kein Klischee-Kreuzberg, sondern das wohl alternativste Viertel Europas. Es ist voller Bars, kleiner Geschäfte, Energie und an manchen Tagen auch Gewalt. Die Polizei traut sich bloß mit Hundertschaften herein und das auch nur, wenn es gilt, die Rädelsführer jener Straßenkämpfe zu finden, die Athen zuletzt zum Brennen brachten. Wer hingegen einen Einbruch meldet, muss hoffen, dass zumindest ein Polizist in Zivil auftaucht und Spuren sichert.

Exarchia, das ist Widerstand. Immer schon. Egal ob gegen Autorität oder Austerität. Hier besetzten Studenten aus Protest gegen die Militärdiktatur 1973 die Hochschule. Panzer fuhren auf, es kam zum Massaker, die Generäle stürzten, die Linken wurden zu Helden eines ganzen Landes. Und sind es heute wieder.

Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis, die seit Wochen durch Europa touren, sind Kinder Exarchias. „Ich kenne sie beide gut“, sagt Giorgos Thalassinos und zieht an seinem Zigarillo, „Tsipras’ Eltern wohnen gleich um die Ecke. Er selbst ist oft hier.”

Hier, in Thalassinos „Café Floral“, dem Treffpunkt am Platz, gerade einen Kilometer Luftlinie von Kolonaki entfernt. An den Nebentischen hocken wohl die, die  man in Wien „Bobos” nennt: junge Leute mit Kapuzenpulli, immer am Planen des nächsten, ganz großen Dings. „Bloß bleibt es beim Planen, denn den Jungen hat man das Träumen ausgetrieben”, sagt Thalassinos, „zwei von drei unter 25 sind in diesem Land ohne Job. Denen braucht man nicht mit der Angst vor einem „Grexit” kommen, die fürchten sich nicht mehr.” Thalassinos erzählt, wie sich Syriza in seinem verrauchten Café formte. „Ein wilder Haufen, der sich zusammenrauft, weil es die letzte Chance für unser Land ist.” Die Gegnerschaft reicht von Brüssel bis zurück nach Athen: „Die ganze alte Elite, die das Land unter sich aufteilte, sich Pfründe sicherte, Medien kontrolliert, will Tsipras fallen sehen. Ihn rettet bislang nur, dass das Volk fast geschlossen hinter ihm steht.”

Selbst jene, die im Staat sonst den Feind sehen, scheinen Tsipras‘ Charme zu erliegen. Etwa gleich gegenüber des Café Floral, in der Anarchokommune K*Vox, wo sich Athens erprobteste Straßenkämpfer zusammenrotten. Einer von ihnen, Christos, deutet hoch zur Flagge, auf der das Porträt von Che Guevara prangt. „Tsipras hat seinen Sohn nach ihm benannt: Ernesto. Wenn das kein Statement ist.“

Versager oder Vordenker?

Also Alexis Superstar? Und das, obwohl sich dessen Bilanz bislang eher mager ausnimmt. In den EU-Hauptstädten holte er sich mit seinen Plänen, Europas Schulden – nicht ganz uneigennützig – zu vergemeinschaften, eine Abfuhr. Auch zusätzliches Geld, um Griechenlands sozialer Katastrophe Herr zu werden, blieb ihm versagt. Was an Hilfsgeldern künftig noch nach Athen fließt,  kommt wie schon bislang kaum dem Staatshaushalt zugute, sondern dient der Rückzahlung angehäufter Schulden.

„Aber Tsipras trat bei all den Verhandlungen immer mit Würde auf und, was ganz wichtig ist, er kämpfte. Im Unterschied zu seinen Vorgängern, glich er nie einem winselnden Hündchen, das um ein wenig mehr Futter bettelt“, sagt Evi, die ein paar Straßen weiter eine Boutique mit angeschlossener Bar betreibt. Sie und ihr Freund sind Paradiesvögel der Nacht, eine Mischung aus Barbarella und Johnny Depp als Captain Jack Sparrow. Politik, was ist das, lautete ihr Credo. „Tsipras ist der erste Politiker, bei dem ich nicht gleich umschalte, wenn er im Fernsehen auftaucht. Ich höre ihm zu und das ist ein Anfang.“

Zwei Boutiquebesitzer aus zwei Welten wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Sie kennen sich nicht und würden sie es, könnten sie wohl wenig miteinander anfangen. Dass  ein Mann, der der kommunistischen Jugend entstammt und heute Premier von Griechenland ist, sie einmal politisch annähert, wäre noch vor Kurzem undenkbar gewesen.

So undenkbar wie Grafitti in Kolonaki oder Armani in Exarchia. Wer rübergeht wird zum Grenzgänger. Sieht bald die ersten Bars, in denen Champagner statt Retsina fließt und Austern anstatt Souvlakitellern auf den Tischen stehen. In den Entrées der Wohnhäuser duftet es nach Kokosmilch, mit der die Holzgeländer der Stiegenaufgänge eingelassen werden.

„Wir sind selber schuld.“

Oben öffnet eine junge Dame, die Teil der Athener Polit-Aristokratie ist und dennoch leidet: Kyra Kapi ist 30 und mit dem Mitsotakis-Clan, der Premierminister und führende Politiker stellte, verbunden.  Im eleganten Wohnzimmer des Vaters berichtet sie, wie die Krise über der Familie hereinbrach. „Die von den Konservativen eingeführte Immobiliensteuer bringt uns um. Die Häuser und Wohnungen, die wir besitzen, stehen leer, finden keine Käufer und sind weit unter Wert vermietet. 9.000 Euro im Monat an Steuer sind aber trotzdem fällig.“ Für Kyra bedeutet das: Schuften.

Sie hat drei Jobs, beginnt ihren Tag um fünf in der Früh als Moderatorin einer Radioshow. Hetzt dann weiter ins Parlament, wo sie für einen Abgeordneten arbeitet und betreut abends die sozialen Medien für diverse Firmen. „In einem Land, wo Kinder wieder hungern müssen, wäre es vermessen, sich zu beschweren“, sagt sie wahlweise auf Deutsch oder Englisch, „er geht mir bloß darum, zu verdeutlichen, dass auch einst Wohlhabendere in der Krise leiden – nur anders.“ Die Schuld daran sieht sie in Griechenland selbst: „Immer hieß es, das Geld ist da, die Politiker versprachen und verschuldeten uns. Beim staatlichen Fernsehen, wo ich einmal arbeitete, gab es allein fünf Leute, die nur dafür zuständig waren, Studiogästen das Mikrofon anzustecken.“

Dass nun selbst in Kolonaki viele den Ausweg bei Syriza suchen, überrascht Kyra kaum: „Die, die schon alles verloren haben, sind sowieso für Tsipras, weil er ihnen Hoffnung gibt. Aber diese Hoffnung brauchen auch jene, die noch etwas haben, das sie zu verlieren fürchten. So einfach ist es.“

Erschienen in NEWS 09/2015

Hier gibt es das Video zur Reportage aus Athen

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