
Fico „Wir schützen die Slowakei“ / Anti-Islam-Demonstration in Bratislava (Fotos: Ricardo Herrgott)
Die Flüchtlingskrise spaltet Europa. Deutschlands Kanzlerin Merkel ist isoliert. Gerade die neuen EU-Staaten wehren sich gegen die Zuwanderung. In der Slowakei steht ein Linker an der Spitze der Abschottungsfreunde
Es ist ein Film von martialischer Kraft. Menschen rütteln darin an Zäunen. Klettern in Züge. Trotzen dem Tränengas. Sie marschieren über Autobahnen. Weinen, schreien und toben. Alles in diesem Film signalisiert Gefahr. Die bedrohlichen Bilder des Flüchtlingssommers 2015 flimmern über eine große Videoleinwand, untermalt von Musik wie in einem Hollywood-Trailer. Dazu Aussagen, die Heilung verheißen: „Wir unterschätzen das nicht. Die Sicherheit der Bürger steht an erster Stelle. Die Verteilung von Flüchtlingen über Quoten ist irrational und wird mit einer Blamage enden. Wir sind ein souveräner Staat und lehnen ein Diktat der Mehrheit zu einem solch heiklen Thema ab. Wir schützen unser Land.“
Sagt Robert Fico, Sozialdemokrat und Premier der Slowakei. Es ist sein Wahlkampfvideo. Als der Film ans Ende gelangt, fällt es Fico schwer, sich die Genugtuung zu verkneifen. Er steht auf der Bühne einer Sporthalle in einer Provinzstadt in den Bergen. Schaut ins Publikum, das vom Film noch ergriffen wirkt, und setzt dessen Inhalt fort. „Ihr habt gesehen, was in Paris geschehen ist. Ihr habt gehört, was in Köln passierte. Ihr kennt all die Nachrichten. Als ich im Sommer genau davor warnte, haben sie im Westen nur den Kopf geschüttelt. Als ich sagte, dass Terroristen unter den Flüchtlingen sein werden, wurde ich verlacht und verwarnt. Heute ist es der deutsche Geheimdienst, der warnt und genau das als erwiesen ansieht.“ Das Gefühl, recht gehabt zu haben, beschert ihm den Beifall des Publikums und vermutlich auch einen Sieg bei den am 5. März anstehenden Parlamentswahlen.
„EU begeht rituellen Selbstmord“
Was Robert Fico Genugtuung verschafft, ist aber längst weit mehr als nur Teil der Wahlkampffolklore in Österreichs östlichem Nachbarstaat. Wenn Fico der EU „rituellen Selbstmord“ in der Flüchtlingsfrage vorwirft, wird er von internationalen Medien wie den „New York Times“ und dem „Spiegel“ zitiert. Die kleine Slowakei, sonst selten für große Schlagzeilen gut, trotzt dem „deutschen Diktat“ und klagt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die erzwungenen Flüchtlingsquoten. Das ist Ficos Erzählung, und die verweist auf einen gefährlichen Bruch, der sich mitten in Mitteleuropa auftut. Nicht etwa Robert Fico ist in seiner Sicht isoliert, sondern jene Frau, an die er seine Kritik adressiert: Angela Merkel. Ihr wird längst nicht mehr nur in der Slowakei vorgeworfen, mit ihrer Willkommenskultur einen Keil durch die EU getrieben zu haben. Deutschland habe damit einen Fehler gemacht, ist Fico überzeugt, und wolle nun andere zwingen, diesen mitauszubaden.
Was im August des Vorjahres an Viktor Orbáns ungarischem Zaun begann und auf Ficos Wahlkampfbühne in den slowakischen Bergen eine Fortsetzung fand, endet nun in Brüssel. Dort agieren die Regierungschefs aus der Slowakei, Ungarn, Tschechien und Polen als lautstarke Speerspitze im sogenannten Visegrád-Bündnis. Gegründet vor 25 Jahren, um sich gemeinsam auf die EU vorzubereiten, dient es den vier Staaten nun als Allianz der Abschottungsfreunde.
Wieso ist der Osten anders?
Die Gegenreaktion auf den neuen „Ostblock“? Drohungen des Westens, aus denen Unverständnis spricht. Milliarden an EU-Förderungen sollten der Koalition der Widerwilligen gekürzt werden, empfahl etwa Österreichs Kanzler Faymann und war sich damit der Zustimmung aus Berlin sicher. Man ist ob der mangelnden Solidarität der Nachbarn empört, erste Stimmen philosophieren schon darüber, ob es richtig war, diese in die EU aufzunehmen.
Warum, so fragen sich westlich von Wien viele, ist der Osten so anders? Wieso macht das Beispiel Viktor Orbáns Schule und greift auf Polen über, wo sich seit der Wahl im Herbst autoritäre Tendenzen abzeichnen? Und weshalb findet Orbán, trotz ideologischer Differenzen, Nachahmer bei den Sozialdemokraten der Slowakei und in Tschechien? Dessen Präsident Miloš Zeman, der Muslime grundsätzlich für „nicht integrierbar“ hält und vor einer „noch viel größeren Invasion“ warnt, versteht sich mit Fico blendend.
Den Stab über die ach so intoleranten Osteuropäer zu brechen, fällt jenen besonders leicht, die die Region kaum kennen. Die sich an einem Jahrzehnt wachsender Gewinne für ihre dort tätig gewordenen Konzerne freuten, ohne genauer wissen zu wollen, wie diese zustande kamen. Und die nun, wie wir, von hoch oben herab auf Bratislava blicken.
Vom 32. Stock eines neuen Wolkenkratzers aus erscheint die Hauptstadt in glänzendes Licht gehüllt. Der Blick schweift weit über die Donau und bis hin zu den Windrädern bei Hainburg. Es sind Türme wie dieser, die in den letzten Jahren hier in den Himmel wuchsen. Panorama City nennt sich der neue Komplex. Das 150-Quadratmeter-Appartement, in dem wir stehen, war für 460.000 Euro zu haben. Nicht lange, wie die Firmensprecherin erklärt, denn 80 Prozent der über 600 Wohnungen in den beiden 108 Meter hohen Türmen waren binnen eines Monats weg. Die Eigentümer werden die vermeintliche Intoleranz ihrer Mitbürger ähnlich kritisch betrachten wie manch anderer Weltenbürger ein paar Dutzend Kilometer weiter westlich.
Doch es ist eine Minderheit, kaum genug, um einem Robert Fico den Wahlsieg zu sichern. Schon eher interessant für ihn ist eine Gruppe, die sich zur selben Zeit nur ein paar hundert Meter weiter, aber zu ebener Erde, die Wut aus dem Bauch schreit. „Keinen Meter dem Islam!“, brüllt ein Bärtiger. „Schweine statt Scharia!“, schreit ein anderer. Auf Bratislavas Plätzen machten zuletzt häufig Redner Stimmung gegen eine ohnedies kaum vorhandene Zuwanderung. Man protestiert gegen ein Phantom, und das permanent. Denn von den 5,5 Millionen Slowaken sind nur etwa 2000 Muslime. Dass sich daran so rasch nichts ändern wird, ist nicht etwa Ficos schützender Hand zu verdanken, sondern der fehlenden Attraktivität des Landes für Flüchtlinge. Im vergangenen Jahr stellten gerade einmal 169 Personen einen Asylantrag. Neun davon wurde stattgegeben. Und trotzdem funktioniert Ficos Versuch, das Thema für seine Wiederwahl zu instrumentalisieren.
Gefährliche Vorwürfe
„Fico ist in seiner Sozialpolitik ein klassischer Linker, setzt aber, um mehrheitsfähig zu sein, zugleich auf die Anti-Migrations-Karte“, sagt Juraj Marušiak, Politologe und Mitglied der Slowakischen Akademie der Wissenschaften. Für ihn speist sich die Ablehnung von Merkels Flüchtlingspolitik aus dem gefühlten Scheitern Westeuropas an der Migration. Auch wenn die Slowaken selbst kaum eigene Erfahrungen mit Zuwanderung haben, wüssten sie sehr genau, dass diese im Westen nicht gerade als Erfolgsmodell gilt. Sie haben von Parallelwelten gehört und von gescheiterten Stadtvierteln gelesen. Das eigene Land hält man für noch weit weniger gewappnet, Integration zu leisten, da die neoliberale Transformation der 90er-Jahre den Sozialstaat demontierte. Auch wenn Bratislava boomt und in der Wirtschaftsleistung pro Kopf Wien bereits hinter sich gelassen hat, bleibt das Interesse an Zuwanderung aus.
Den neuen EU-Staaten daher aber mangelnde Solidarität vorzuwerfen, hält Marušiak für ungerecht und gefährlich: „Vonseiten der EU wurde nie klar gesagt, ob es sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen um eine Übergangslösung wegen der Krise handle oder um eine dauerhafte erzwungene Zuwanderung, was angesichts unkontrollierter Außengrenzen bedrohliche Ausmaße annehmen würde.“
Für den Aufstieg von Populisten im Rang eines Fico, Zeman oder Orbán macht Marušiak aber weniger die Flüchtlingskrise verantwortlich, sondern die Zukunftsangst breiter Bevölkerungsschichten. „Die Wirtschaft wuchs und wächst zwar stärker als im Westen, aber bei Weitem nicht alle Teile der Bevölkerung profitieren davon. Das zeigt sich besonders im vernachlässigten Gesundheits- und Schulwesen. Zugleich entstand eine Schicht an Oligarchen, die direkt bis indirekt den Staat beherrscht.“ Während eine Krankenschwester weiter nur 450 Euro verdient, blieben Korruptionsaffären der Elite ohne Folgen. Viele fragen sich daher, ob das, was nach 1989 kam, ein Irrtum war und die Art und Weise, wie Demokratie nun funktioniert, nicht ein Fehler sei. Der Ruf nach „starken Führern“, wie er in allen vier Visegrád-Staaten ertönt, sei nur die Antwort auf dieses Versagen, meint der Politologe. Aus ihr spreche auch die enttäuschte Hoffnung, den Westen nach 25 Jahren noch immer nicht eingeholt zu haben.
Nachbarschaftshilfe
Dabei müsste nicht alles so düster sein, wie es anfänglich wirkt. Unten bei der Donau, an der Grenze zu Ungarn, herrschte noch im Sommer fast Pogromstimmung. Fico hatte Österreich angeboten, 500 Flüchtlinge aus dem überfüllten Lager in Traiskirchen hier, im Ort Gabčíkovo, aufzunehmen. Während sich die Slowakei um die Versorgung kümmern würde, liefen deren Asylverfahren in Österreich weiter. Eine Geste des Entgegenkommens unter Nachbarn. Doch die Bürger stiegen auf die Barrikaden, stimmten in einem eilig angesetzten Referendum zu 97 Prozent gegen die Aufnahme.
Aber Fico war dem Nachbarn im Wort, blieb hart und ignorierte das Volksvotum. Nun sind die Syrer in den Plattenbauten eines nie in Betrieb genommenen Studentenheims beherbergt. An ihnen nage zwar die Ungewissheit, sagen sie, aber Unterbringung und Versorgung seien gut und die Menschen sehr nett zu ihnen. In den Wirtshäusern des Ortes verhält es sich ähnlich. Keinem kommt ein schlechtes Wort zu den neuen Mitbewohnern über die Lippen. Vielleicht, raunt einer, habe man das im Sommer ein wenig übertrieben. Aber man höre ja so viele Sachen, gerade im Fernsehen. Dort läuft jetzt auch Ficos Wahlwerbefilmchen. Titel: „Wir schützen die Slowakei“.
Erschienen in News 07/2016
Das Video zur Reportage aus der Slowakei