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Vereinigte Staaten des Zorns

Wer bitte wählt Donald Trump? Rassisten, Verrückte, Fanatiker? Auch. Auf Wahlkampftour mit dem vielleicht nächsten US-Präsidenten wird aber eines deutlich: Amerika ist heute eine Nation der Wutbürger

Elvis steht Schlange und das seit Stunden. Der Wiedergänger des „King“ ist der Erste, dem wir in Orlando, Florida, begegnen. Es ist kurz nach neun Uhr in der Früh. Elvis, mit Doppelkinn und schon etwas in die Jahre gekommen, hat den mitgebrachten Kaffee aus dem Pappbecher längst ausgetrunken. Er ahnt nicht, dass weitere sieben Stunden vergehen werden, bevor der Mann, für den er ansteht, überhaupt das Wort ergreift. „Aber hey“, sagt Jack Smink, wie Elvis mit bürgerlichem Namen heißt, „Donald Trump hat ein Feuer in mir entfacht. Und wenn ihr die Reihe runterschaut, seht ihr, dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht.“ Es sind Tausende, die sich um den Gebäudekomplex der University of Central Florida schlängeln. Sie alle wollen ihn sehen. Trump, den Kandidaten. Den nächsten Präsidenten Amerikas, wie sie schon sagen.

Amerikas größtes Rätsel

Wir sind hergekommen, um ein Rätsel zu lösen. Das größte Rätsel, das Amerika dieser Tage beschäftigt. Es lässt sich soziologisch formulieren. Die Frage würde dann wohl lauten, weshalb ein Mann, der so ziemlich alle Regeln bricht, die in Amerikas Politik bisher galten, von Tag zu Tag bessere Chancen hat, dessen nächster Präsident zu werden? Es lässt sich aber auch simpler auf den Punkt bringen. Etwa so, wie es ein Radiotalkshow-Moderator kürzlich tat, als er ins Mikrofon brüllte: „Was ist da draußen verdammt noch mal los? Wer zum Teufel wählt Trump und warum?“

Trotz permanenter Trump-Time auf allen Kanälen, sind die Quoten zwar hervorragend, die Antworten auf diese Frage aber miserabel.Trump gewinnt Vorwahl um Vorwahl, im ländlichen Mississippi genauso wie im industriellen Michigan. Setzt sich sein Durchmarsch am kommenden Dienstag in Florida und Ohio fort, ist ihm die Kandidatur bei den Republikanern kaum noch zu nehmen. Die Spitzen der Partei begnügten sich lange damit, Trumps Wähler als Dummköpfe abzutun. In ihnen Leute zu sehen, die des Spektakels bald überdrüssig würden. Eine Bande von Rassisten, die nach acht Jahren mit einem schwarzen Präsidenten, den radikalen Wechsel wünscht. Aber denken so Millionen? Laut einer aktuellen Umfrage von CNN würden 49 Prozent der Amerikaner für Trump stimmen. Vorausgesetzt er bekäme das republikanische Ticket und würde im November gegen eine jetzt schon ins Straucheln geratende Hillary Clinton antreten. 49 Prozent. Für einen Mann, dessen Kandidatur anfangs belächelt wurde. Der mit seiner ungebändigten blonden Haarpracht gerade einmal als personifizierter Politwitz durchging. Und dessen ausgereifteste politische Forderung lautete, eine Mauer zu Mexiko zu bauen und elf Millionen Illegale in Nacht- und Nebelaktionen abzuschieben.

Belogen und betrogen

Vielleicht wäre es sinnvoll, Elvis und all die anderen einfach zu fragen, warum sie hier sind. Von den US-Sendern tut das keiner. Erst abends identifizieren Analysten das ihnen fremde Gebilde des Trump-Fans. Und beschreiben dabei das Gegenteil dessen, was sie noch vor Monaten als Wahrheit sahen, nun genauso eloquent und ausgereift wie damals. Dort, wo Politik bloßes Entertainment ist, fühlt man sich immer gut unterhalten. Mehr aber auch nicht.

Für Elvis, alias Jack Smink, ist die Sache hingegen einfach. Trump sei erfolgreich, kein Lügner und vor allem kein Politiker. „Wir wurden von all diesen abgehobenen Kerlen belogen und betrogen. Sie lassen sich von Lobbyisten den Wahlkampf finanzieren und dienen dann ihnen und nicht uns. Amerika geht dabei vor die Hunde.“ Triumphierend holt er eine Baseballkappe hervor. „Make America Great Again“, also Amerika wieder großartig machen, steht drauf. Es ist Trumps Kampagnenslogan. Einfach und erfolgreich und der einzige, den jeder Amerikaner kennt. „Oder könnt ihr spontan die von Trumps Gegnern Rubio und Cruz oder den von Hillary Clinton nennen?“ Sorry, Fehlanzeige.

Smink, der als Elvis-Interpret 26 Jahre durch Amerika tingelte, hat ein Gespür für dieses große, einst so selbstsichere Land. Nun wirkt es unsicher und sucht Zuflucht bei einem, dem Zweifel fremd sind. In einem Land, in dem Ehrgeiz und Erfolg alles sind, taugt der zum König, dessen Selbstverliebtheit keine Grenzen kennt und für den Scham ein Fremdwort ist.

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Trump im Nahkampf mit seinen Wählern (Foto: Ricardo Herrgott)

Es vergehen Stunden, in denen sich die Schlange in Richtung der CFE-Arena in Orlando schiebt. Trump wird sie später mit 15.000 Menschen füllen. Darunter ist dann auch einer wie Preston. Ein kräftiger Kerl mit kleinem Unternehmen. „Für Politik habe ich mich nie interessiert“, sagt er, „gewählt habe ich auch nur sporadisch. 2008 sogar Obama. Aber jetzt habe ich die Nase voll. Die ganze politische Korrektheit. Dinge, die du nicht mehr sagen darfst. Homo-Ehe, legales Marihuana. Das ist Ablenkung, falsche Debatten, die keiner braucht. Globalisierung ist großartig, heißt es auch. Ja, für das eine Prozent der Reichen. Dass wir, die 99 Prozent, dabei auf der Strecke bleiben, sagt keiner.“

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Auf Tour mit Trump in Florida (Foto: Ricardo Herrgott)

Irgendetwas, so der Tenor, ist in Amerika in Schieflage geraten. 54 Prozent der Amerikaner sagten kürzlich in einer Umfrage des Magazins „Esquire“, dass es ihnen schlechter geht, als sie es sich in ihrer Jugend erwartet hätten. Die nächste Kreditrate drängt. Löhne steigen nicht. Dafür aber die Gebühren, um die Kinder später überhaupt aufs College schicken zu können. Die Jobs sind plötzlich unsicher. Freunde wurden schon entlassen, Firmen schließen oder wandern ab. Zukunft, das große Wort, das in Amerika immer so strahlte wie der Horizont hier weit ist, entfacht ein fremdes Gefühl – Angst.

„War da nicht mal einer, der mit „hope“, also Hoffnung, hausieren ging? Der „change“, also Wandel, versprach, an den wir glauben können?“ Vor uns steht Brandy, eine Unternehmerin, mit ihrer Tochter Gwyneth. Und es ist klar, von wem sie spricht: Barack Obama. Brandy, überzeugte Republikanerin, gesteht, dass sie ihn zwar nicht wählte, sein Spirit damals aber auch sie erfasste. „Was für ein Fehler und was für ein Versager“, sagt sie. Statistiken, wonach die Arbeitslosigkeit offiziell nur bei fünf Prozent liegt und seit vier Jahren permanent sinkt, traut sie nicht. „Ich kenne fast nur Leute, die weniger haben als früher. Die zwei, drei Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Die in Washington lügen doch.“

Und da ist es, dieses andere Gefühl, das auf die Angst und die Furcht folgt. Das bei jedem Gespräch nach einer Weile zum Vorschein kommt. Es ist stark und mächtig. Es wirkt heilend und befreiend zugleich. Und es ist hier, im Kreis der Gleichgesinnten, zulässig. Der Name dieses Gefühls lautet: Wut. Anger, auf Englisch, und angry, also zornig, sind die, die Trump huldigen. „Jetzt braucht es einen, der es kann. Der auch den Mut zu Radikalem hat.“ Brandy scheint für einen Augenblick selbst über ihre Worte ein wenig erschrocken. Kurz hält sie inne, fragt sich vielleicht, ob sie so etwas überhaupt sagen kann und tut es dann doch. „Donald Trump wird durchgreifen. Nicht zurückschrecken. Und hart zu unseren Feinden sein.“

„Ihr kommt nicht rein“

Als solche werden auch wir gesehen, als der Eingang zur CFE-Arena erreicht ist. „Sorry guys, no foreign press“, sagt Trumps Medienmanagerin, also umdrehen Burschen, ausländische Presse braucht unser Spektakel nicht zu beobachten. Einer, der Amerika wieder groß machen will, verzichtet lieber auf Zeugen. Warum wird klarer, sobald wir uns zwei Tage später und 800 Kilometer weiter nördlich, bei der nächsten Trump-Rallye in North Carolina hineinschmuggeln. Vor der Halle ist auch hier viel die Rede vom empfundenen Betrug durch die Eliten in Washington. Die Wut, sie ist auch hier, angekommen. Drinnen wird, quasi als Gegengift, erst einmal die Hymne angestimmt und inbrünstig mitgesungen. Später darf die Miss North Carolina dem Kandidaten Trump viel Erfolg wünschen. Und eine Vorbeterin, die hauptberuflich Facelift-Cremen über einen Shopping-Kanal vertreibt, erbittet göttlichen Segen für Donald: „Dankt Gott, dass er uns Trump geschenkt hat.“ Danach Musik aus der Zeit, als Amerika groß war. Billy Joel und „Uptown Girl“. Später die „Stones“ mit „Time is on my side“. Was wohl auch für Trump gilt, der nach Stunden des Wartens von einer Menge, die sich mit „USA! USA!“-Rufen selbst aufpeitschte, frenetisch empfangen wird.

Was folgt, ist brachial und brutal. Trump unplugged. Galten Obamas Reden vor acht Jahren noch als Lektionen des geschliffenen Wortes und der politischen Rhetorik, übt sich Trump im Wutmanagement. Und dazu braucht es, im Unterschied zum amtierenden Präsidenten, keinen Teleprompter. „Amerika hat das Siegen verlernt“, brüllt Trump, „China überschwemmt uns mit Produkten, der IS führt uns vor und wir diskutieren darüber, ob „Waterboarding“ zulässig ist.“

Für Trump ist die Welt simpel und die Antworten auf ihre Herausforderungen einfach. Illegale Einwanderung aus Mexiko? „A wall, six feet tall“, schreit ihm das Publikum schon vor – also die Mauer, sechs Fuß hoch.

„Bis zur Decke wird sie reichen“, setzt Trump nach und deutet hoch ins Gebälk der Sporthalle. Firmen, die abwandern? Ganz einfach, es braucht einen smarten Präsidenten, der taff verhandelt, mit Strafzöllen droht und schon kämen die Unternehmen zurückgekrochen. Alles ist bei Trump direkt und simpel. Problem A, Lösung B. Und all die Politiker, die sich bisher an diesen Herausforderungen abarbeiteten, wirken zwangsweise wie Stümper. Und das sind sie laut Trump ja auch. Abhängig von Spendern, die deren Wahlkämpfe finanzieren. „Ich hingegen war mein Leben lang gierig, darum habe ich genug Geld. In Zukunft werde ich nur noch gierig für euch sein!“

„Schmeißt sie raus!“
Es ist eine Rede, die sich frei und wirr von einem Thema zum nächsten hantelt. Irgendwie hängt ja auch alles mit allem zusammen. Irgendwie. Und es dauert nicht lange, bis des Publikums liebster Programmpunkt unerwartet auftaucht: Widerspruch. Protest. Ein Schwarzer, der Trump einen Rassisten schimpft. Oder jemand, der einfach nur aufsteht und ein entsprechendes Plakat in die Luft hält. Der Störenfried wird von den Trump-Fans rasch ausgemacht. Sie fuchteln mit den Händen, deuten auf ihn. Und Trump brüllt im breitest möglichen Slang „get´em outta here!“, also schmeißt sie verdammt noch mal raus.

Trumps privater Sicherheitsdienst, teils in Zivil, teils in selbsterfundener Uniform, übernimmt die Grobarbeit und zerrt den Protestierenden unter dem Johlen des Publikums aus der Halle. „Geh heim zu deiner Mummy“, verhöhnt ihn Trump noch vom Podium. Die Szene wirkt gespenstisch. Sie zeigt, wie dünnhäutig Trump ist und wie gnadenlos er Rache übt.

Die Protestierenden draußen vor der Tür erinnert es an den Aufstieg Hitlers im Deutschland der Zwischenkriegszeit. Am Ende jedenfalls ist das Klima in der Halle so aufgehetzt, dass Trump zum Husarenstück ansetzt. „Hebt eure Hände“, weist er das Publikum an, „und sprecht mir nach.“ Schon halten alle ihre rechte Hand hoch und schreien: „Ich schwöre, Donald Trump zu unterstützten und für ihn zu stimmen.“ Alles mutet nun an wie im Film „Die Welle“, wo ein Lehrer in einem Experiment seiner Klasse vorführt, wie einfach auch noch heute autoritäre Strukturen entstehen. Wie simpel es ist, Menschen zur willfährigen Masse zu machen, weil sie sich so nach einem starken Führer sehnt.

Revolution der Ruhiggestellten

Trump ist das Megafon dieser schweigenden Mehrheit. Ein Verstärker ihrer Wut. Er steht an der Spitze einer Revolution der Ruhiggestellten. Von Menschen, deren Ansichten in den Medien kaum noch vorkamen. Und wenn doch, dann belächelt werden. Eine liberale Elite verurteilt deren Werte als engstirnig und borniert, sieht aber nicht, dass man sich Offenheit und Weltgewandtheit auch leisten können muss. In einem Land, in dem die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht und in dem das reichste Promille der Bevölkerung so viel besitzt wie 90 Prozent der anderen, ist Trump eine Antwort. Seine liegt weit rechts der Mitte. Die von Hillary Clintons demokratischem Herausforderer Bernie Sanders findet sich weit links davon. Beide sind sie ein Symptom einer sich ausbreitenden Unsicherheit.

Macht die Welle

Dabei wünschen sich diese Menschen Sicherheit. Im Job wie in der Welt. Es sind meist weiße Amerikaner der Unter- und Mittelschicht, die Trump folgen. Die Angst davor haben, zur Minderheit im eigenen Land zu werden. Und denen ihre eigene kleine heile Welt weggenommen wurde. Wie und von wem, wissen sie nicht. Aber sie glauben einen zu kennen, der sie ihnen zurückbringt. Klar, Trump ist unverfroren, ruchlos, brutal – und gefährlich. Manchmal erschreckt das selbst seine Wähler. Dann aber denken sie, dass er doch auch recht hat. Er der Einzige ist, der sagt, was sie so lange nur fühlten. Trump hat viel gemein mit Rechtspopulisten in Europa. Wie sie ist er Ausdruck einer westlichen Welt, die ins Wanken geraten ist. Bloß ist Trump schillernder, unterhaltsamer und gefährlicher als seine Gegenstücke in Europa. Denn immerhin bewirbt er sich nicht darum, nächster Premier Belgiens zu werden, sondern um das mächtigste Amt der Welt. Und dem kommt er jedem Tag näher.

Der Film „Die Welle“ endet damit, dass die Schüler geschockt erkennen, wie leicht sie einem Verführer verfallen sind. In der Wirklichkeit bleibt dafür noch bis zum Wahltag am 8. November Zeit.

Erschienen in News 10/2016

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