Zum Inhalt springen

Scharia und Schlaraffenland

Bildschirmfoto 2016-06-24 um 21.10.19

Salafisten im bosnischen Dorf Osve. Bürgermeister Berilo in den Bergen bei Sarajevo (Fotos: Ricardo Herrgott)

Leben wie im Mittelalter, drei Autostunden von Österreichs Grenze: In Bosnien machen sich Salafisten breit, während Araber das Land mit Milliardeninvestments missionieren. Die Geschichte zweier Dörfer

Erhaben steht Ibro Berilo inmitten des satten Grüns des Hochplateaus. Kurz nimmt er seine Versace-Brille ab und lässt den Blick schweifen. Hinüber zu den Gipfeln des Bergmassivs, auf denen Schnee liegt. Hinunter zu den Wiesen, wo vor Kurzem noch Schafe weideten. Der Film in seinem Kopf beginnt jetzt zu laufen. Darin tauchen Hochhäuser auf, Villen, Einkaufszentren und Seilbahnen. Worte sprudeln aus ihm heraus. Sie klingen nach einer Verheißung, die jäh unterbrochen wird, als sein Handy läutet. Hastig holt er es hervor und hält es an sein Ohr. Es könnte der Scheich sein, der ihn sprechen will.

Verhalten späht Izet Hadžić durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür. Er trägt eine weite Pluderhose, deren Beine über den Knöcheln enden. Sein Haupt bedeckt ein weißes, gehäkeltes Häubchen, sein Gesicht prägt ein langer, sich allmählich grau verfärbender Bart. Er ist ein Salafist, einer, der so lebt, wie es Mohammed, der Religionsstifter des Islam, im siebten Jahrhundert tat. Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist. Aber fast jeder, der zum islamischen Terrorkrieger wurde, war zuvor Salafist. Izet Hadžić lebt nicht nur unter Salafisten, er ist so etwas wie deren Anführer. Und das in einem Dorf, aus dem Männer fortgingen, um sich dem „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien und dem Irak anzuschließen. Nun räuspert er sich und holt Luft. Es könnte im Sinne Allahs sein, sich zu äußern.

Bosnien – Vorposten des IS?

Dies ist die Geschichte zweier Männer, die aufbrachen, das Glück zu finden. Sie sind um die fünfzig, haben einander nie getroffen und teilen doch so viel. Beide leben sie in den Bergen Bosniens, sind Ortsvorsteher, Bürgermeister eines Dorfes. Und beide leben sie einen Traum. Der des einen führt in die maximale Moderne. Der des anderen direkt zurück ins Mittelalter. Gemeinsam erzählen sie die Geschichte eines fast vergessenen Landes mitten in Europa, drei Autostunden von Österreichs Grenze entfernt.

Bosnien, von der EU sträflich vernachlässigt, ist zuletzt mit nur einem Thema wieder in die Schlagzeilen geraten: dem Islam. Das Land sei, 20 Jahre nach Ende eines Krieges, in dem 100.000 Menschen starben, zu so etwas wie einem Vorposten des IS in Europa geworden, war zu lesen. Terror-Trainings­camps solle es dort bereits geben. Aus keinem anderen Land Europas hätten sich im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Männer dem IS angeschlossen als von dort. Und als sei dies nicht genug, würden noch dazu Araber im großen Stil Land aufkaufen. Sich quasi ein Einfallstor in die EU sichern und neben all dem Geld auch ihre besonders konservative und missionarische Form des Islam mitbringen. Viel Unheil für ein kleines Land vor unserer Haustür.

Ibro, der Bürgermeister, hat sein Gespräch beendet. Es war dann doch nicht der Scheich. Bevor es erneut läuten wird, fuchtelt er mit den Händen und weist in alle Himmelsrichtungen des Hochplateaus. Hier, auf 800 Metern über dem Meer, 30 Kilometer südlich der Hauptstadt Sarajevo, soll die Zukunft entstehen. Eine gigantische Stadt, entworfen auf dem Reißbrett. 2000 Villen, 60 Hotels, Shoppingmalls mit 800 Geschäften, dazu Krankenhäuser, ein Stadion, Helikopterlandeplätze, Seilbahnen, Seen. Wer all das zum ersten Mal hört, muss glauben, Ibro hätte den Verstand verloren, würde halluzinieren und die missliche Gegenwart seiner Gemeinde ins Gegenteil verkehren. Die Geschichte, die er erzählt, gleicht einem Märchen.

29 Tage sei der Prinz aus dem Morgenland, bürgerlich Ismail Ahmed genannt, bereits verzweifelt durch Bosnien gereist. Habe Ausschau gehalten nach der richtigen Stelle für seine Stadt, in die 40.000 zumeist arabische Bewohner ziehen sollen. Völlig hoffnungslos wäre er schon gewesen – bis er am 30. Tag nach Trnovo kam. Es ist der Ort, dem Ibro seit zehn Jahren als Bürgermeister vorsteht. 2000 Einwohner, 90 Prozent der Häuser im Krieg zerstört, eine löch­rige Straße runter nach Sarajevo und dazu ein Haufen Ärger, weil das Dorf zwischen Serben und muslimischen Bosniaken geteilt ist. Ibro, selbst auf der Alm aufgewachsen, verwaltet das Dorf leidlich. Dass hier, im Gebirgsmassiv der Bjelašnica, 1984 die olympischen Skibewerbe der Herren stattfanden, ist nur noch Eingeweihten bekannt. Und dann die Erleuchtung. Der Investor, der fünf Milliarden Euro verspricht. Das ist ein Drittel der jährlichen Wirtschafts­leistung Bosniens. Gemeinsam mit Ibro steht Ismail Ahmed auf dem Hochplateau. Ibro, damals noch ohne Versace-Brille und neues Smartphone, hört nur den einen Satz, und der reicht: „Das ist es. Jannah!“ Das arabische Wort für Paradies.

Der Weg ins Terrordorf

Dem Paradies glaubt sich auch Izet, der Salafist, näher, seit er nach Ošve gezogen ist. Nur ein einziger schmaler Weg führt von der Hauptstraße dort hinauf. Regnet es, wird er unpassierbar. An trockenen Tagen windet er sich über Spitzkehren und durch Wälder bis zu einer Ansammlung von meist unverputzten Häusern. Die bosnische Anti­terroreinheit Sipa rät von Fahrten hierher ab. Unten, in deren Hauptquartier in Sarajevo, bestätigt der Chefermittler, dass man Dutzende Dörfer im ganzen Land identifiziert hätte, in denen Islamisten ein Refugium fanden. Bei Razzien dort wären neben den Fahnen und Symbolen des IS auch schon Waffen und Sprengstoff beschlagnahmt und etliche potenzielle Terroristen festgenommen worden.

Zwischen einigen dieser Dörfer und ­Österreich fand ein reger Pendelverkehr polizeilich einschlägig bekannter Islamisten statt. Auch der nun in Graz als Hassprediger und IS-Anwerber angeklagte Mirsad O. soll eine Zeit lang in einem solchen Dorf gelebt haben.

Deren Ursprünge reichen bis in die Zeit des Bosnien-Kriegs zurück. Damals eilten sogenannte Mudschahedin, also islamistische Kämpfer, aus den arabischen Staaten ihren Glaubensbrüdern am Balkan zu Hilfe. Als der Krieg endete, ließen sich etliche von ihnen, unterstützt von großzügigen Spenden aus den Golfstaaten, hier nieder. Und heute, in Zeiten des Terrors, nur Wochen nach den Anschlägen von Paris und Brüssel, öffnet Izet die Tür. Nein, Salafist sei er keiner. Er lehnt dieses Wort ab, sieht sich als einfacher Muslim. Dass im Dorf aber die Scharia gilt, jenes drakonische Konglomerat archaischer Gesetze, findet er richtig. Kriminalität gebe es ohnedies keine und damit auch keine Hände abzuhacken. Es sei auch gut, dass sich die Frauen in Ošve verhüllten. Dass sie wie schwarze Gespenster über die einzige Straße huschen und mit vollem Gesichtsschleier auf dem Feld arbeiten. Auch dass schon kleine Mädchen, zwei an der Zahl gibt es im Dorf, Kopftuch tragen, sei wohl im Sinne des Propheten. Dabei gab es eine Zeit, als Izet all das ganz anders, nämlich weit weltlicher, sah.

Der Bauer und der Wüstensohn

Ibro, dem Bürgermeister, ist hingegen nichts Weltliches fremd. Besonders seit er in Dubai war, wohin ihn sein Investor kürzlich einlud. „Das musst du gesehen haben“, schwärmt er, „die sind uns zwanzig Jahre voraus. Da ist euer Wien nichts dagegen!“

Ibro dreht nun das ganz große Ding. Der einstige Bauer ist dafür verantwortlich, dass im Mai die Megalomanie in die Berge kommt. Dann ist Baubeginn für „Buroj Ozone“, die Stadt der Städte: 1,5 Millionen Quadratmeter, 40.000 Einwohner, zwei Millionen Touristen im Jahr. Bedenken, die frommen Araber könnten dem liberalen Islam, der Bosnien seit Jahrhunderten prägt, nicht gut tun, wischt er weg. „Ach was, am Flughafen in Dubai gab’s doch auch Alkohol zu kaufen. Und nicht jede dort trägt Schleier.“

Unten in Sarajevo wächst hingegen die Furcht, dass sich der vermeintliche Segen der Milliarden aus dem Morgenland noch als Fluch entpuppen könnte. Für Ibro ist das  zu trivial. Er hat andere Sorgen. Immerhin ist er dem Investor im Wort, bis Mai das ­gesamte Hochplateau in dessen Besitz gebracht zu haben. Und da nicht jeder verkaufen will, wird so mancher der oft serbischen Eigentümer mit einer unschönen Enteignung konfrontiert – was den Argwohn der Serben, die ein Drittel der 3,8 Millionen Bosnier stellen, weiter steigern dürfte.

Schon jetzt sehen sie den Flirt mit den Arabern mehr als skeptisch. Die Gräben im ohnedies zerrissenen Bosnien werden tiefer. Das halbe Land wurde inzwischen von der Bauwut der Wüstensöhne erfasst. In ihren Prospekten preisen sie Bosnien als klimatisch angenehmen und vor allem als muslimischen Staat an, der Arabern zur neuen Heimat, zumindest aber zum Zweitwohnsitz werden könne. Mit jedem weiteren Refugium für Betuchte, das rund um Sarajevo entsteht, wirkt die Vermutung, all das folge einem größeren Plan, weniger abwegig. Und so überrascht es nicht, dass die tolerante Mehrheit der Bosniaken zwar froh ist über die vielen Arbeitsplätze für das wirtschaftsschwache Land, die Folgen einer Invasion der Frommen aber förmlich fürchtet.

Das Werden eines Salafisten

Als fromm hätte sich Izet bis vor fünf Jahren sicher nicht bezeichnet. Beim Spaziergang durch Ošve schildert er sein Erweckungserlebnis. Damals war er noch Musiker, spielte auf Hochzeiten und sah dabei auch gern ins Glas. Kein gottgefälliges Dasein, aus dem er nach einer durchzechten Nacht aufwachte. Er studierte den Koran, fand darin die einzige Wahrheit und eine Erkenntnis: Er müsse sich von der Welt abwenden, um ihr zu entkommen und seinem Gott zu gefallen. Mit dem wenigen Gesparten kaufte er ein verlassenes Haus in den Bergen, schickte die Tochter zum Studium ins saudische Medina, wo sie bald heiraten wird, und schaffte sich selbst 200 Hennen und eine Kuh an. Wären da nicht all die Gebete und die lange Liste der Entsagungen, Izet könnte glatt als Biobauer durchgehen.

Aber radikal, gar zu Gewalt und Terror neigend, nein, das sei keiner der 14 Bewohner von Ošve, beteuert er. Sie alle sind Sonderlinge, Ergriffene, überzeugt davon, die einzig glücklich machende Wahrheit gefunden zu haben. Uns Ungläubigen begegnen sie im besten Fall mit Argwohn, im schlimmsten mit Aggression.

Einer von ihnen, Mohammed, kehrte aus Amerika zurück. Er überlebte als Jugendlicher den Völkermord von Srebrenica, sah seine halbe Familie sterben und gelangte als Flüchtling in die USA. 17 Jahre lebte er dort, zuletzt mit Frau, Sohn und Tochter in Brooklyn. Verblüfft erzählt er, dass ihn am Ende Menschen musterten, wenn er in die U-Bahn stieg, manche gar fluchtartig den Waggon verließen. Auf den Einwand, dass dies angesichts seines Äußeren und des Weltgeschehens kaum verwundern würde, ist er sprachlos. Sie alle haben sich hier ein kleines Gefängnis aus Regeln und Pflichten gezimmert. Sie unterteilen die Welt in haram, verboten, und halal, erlaubt. In Gläubige und Ungläubige. In Schwarz und Weiß.

Izet pocht trotz allem darauf, dass er in den IS-Kämpfern Verbrecher sieht. „Wer nur einen Menschen tötet, tötet die Menschheit“, rezitiert er einen oft gebrauchten ­Koran-Vers. Wie kommt es dann aber, dass gerade aus diesen Dörfern Dutzende in den Dschihad zogen? „Falsche Interpretation oder radikale Prediger“, lautet die salopp formulierte Antwort. Aber wo verläuft die Scheidelinie zwischen Izet und den anderen hier, die Gutes und Gütiges ausstrahlen, und jenen, die sich mit einem Andersgläubigen erst gar nicht austauschen und ihn vielleicht überzeugen, sondern einfach nur töten wollen? Der Weg in die Radikalisierung ist kein gerader, durchschaubarer. Er windet sich wohl genauso wie die Straße hoch nach Ošve. Entlang der Strecke finden sich Abzweigungen und Sperren, Hürden und Hindernisse. Etliche Salafisten überwinden sie. Ihr weiterer Weg wird dann zur Einbahnstraße ohne Wiederkehr.

Gott oder Geld?

Izet und Ibro. Beide haben sie sich ausgeliefert. Der eine einer Ideologie absoluter Strenge, voller Einschränkungen und Pflichten. Ihr ist mit Verstand nicht beizukommen. Sie ist der absolute Widerspruch zu der Welt des anderen. Die maximal mögliche Form der Auflehnung gegen deren Regeln. Ibro ist überzeugt, diese Regeln nun durchschaut zu haben, sieht sich als Sieger in dieser ihm lange fremden Welt des Geldes, die plötzlich in seine Berge kam. Ibro ist sich sicher, sein Glück im Bosnien dieser Tage gefunden zu haben. Izet hingegen glaubt, dass es ihn erst im Jenseits erwartet. Und beiden wünscht man, sich nicht getäuscht zu haben.

Erschienen in NEWS 16/2016

Unser VIDEO zur Reportage

Folge mir auf Twitter

%d Bloggern gefällt das: