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Allein gegen Erdogan

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Can Dündar, Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet (Foto: Ricardo Herrgott)

Dieser Mann saß drei Monate in Isolationshaft. Dann schoss man auf ihn. Nun drohen im sechs Jahre Gefängnis. Sein Verbrechen? Er überführte seine Regierung der Lüge

Nur drei Minuten, nachdem man versucht hatte, ihn zu töten, musste der Journalist Can Dündar an den Satz des Präsidenten denken. Dündar hatte gerade das Gerichtsgebäude im Zentrum Istanbuls verlassen. Darin war ihm der Prozess gemacht worden. Er war angeklagt. Als Staatsfeind, als Spion, als Putschist. Das Urteil über ihn sollte nach einer Pause gesprochen werden. Dündar hatte vorgehabt, die Zeit zu nutzen, um den wartenden Reportern Interviews zu geben und mit seiner Frau vielleicht noch einen Tee zu trinken. Da kam ein Mann mit einer Pistole in der Hand auf ihn zugelaufen. Er schrie „Verräter“, fuchtelte mit der Waffe umher und drückte ab. Mehrmals. Dündar sprang zur Seite, seine Ehefrau stürzte sich auf den Attentäter, erst danach überwältigten ihn Sicherheitskräfte.

Und nun stand Dündar in einer Ecke des Gerichtshofes, als der Satz des Präsidenten durch sein Hirn schoss. „Die Person, die dafür verantwortlich ist, wird einen hohen Preis zu zahlen haben.“ Der Satz, gefallen ein Jahr zuvor, galt Dündar, nicht etwa dem späteren Attentäter.

„Das war er wohl, der Preis, den Erdogan gemeint hatte“, sagt Dündar wenige Wochen später. Er ist 54, sitzt im fünften Stock eines Verlagsgebäudes im Istanbuler Stadtteil Sisli. Davor patrouillieren Sicherheitskräfte mit geladenem Maschinengewehr. Die Redaktion der Tageszeitung Cumhuriyet ist von einem hohen Zaun umgeben. Im Sitzungszimmer des Blattes ist es stockdunkel, die Vorhänge zur Straße sind zugezogen. Sie sind schwer und aus dem selben Material wie schusssichere Westen. An der Wand hängt neben den Bildern des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk das Foto eines erschossenen Kollegen. Auf der anderen Seite des Gebäudes hat Dündar sein Büro. Es ist hell und voller internationaler Auszeichnungen. Dündar ist der Chefredakteur. 30 Jahre ist er Journalist und einer der bekanntesten des Landes. Gerade ist er aus Schweden zurückgekehrt, wo er den Anna Politkowskaja-Preis erhalten hat. Er ist der 2006 in Moskau ermordeten Putin-Kritikerin gewidmet.

Blickt Dündar aus dem Fenster, sieht er in der Ferne die Umrisse des Gerichts. Das ist in der Türkei der beste Ort, um zufällig Kollegen zu treffen, lautet ein makaberer Witz unter Journalisten. Dündar wurde dort, zwei Stunden nachdem auf ihn geschossen worden war, verurteilt. Zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis. Sein Verbrechen bestand darin, die Regierung seines Landes der Lüge überführt zu haben.

Erdogans Waffen

Dündars Geschichte ist die der Türkei der Gegenwart. Sie handelt von einem Präsidenten, der längst das Maß verloren hat und der Gier nach Macht erlegen ist. Und sie handelt von Menschen, die sich ihm entgegenstellen. Mutig, aber nicht ohnmächtig. Allein, aber nicht ohne Hoffnung. Dündars Zeitung, gegründet 1924, ein Jahr nach Errichtung der modernen Türkei durch Atatürk, sieht sich in dessen Tradition. Der Republik und der strikten Trennung von Staat und Religion verpflichtet. Der Präsident und seine Entourage stehen auf der anderen Seite. Es ist die des Islam und dessen politischer Instrumentalisierung.

„Seit Beginn des Syrien-Krieges versuchen wir, die undurchsichtige Beziehung unserer Regierung zu den dortigen radikalen Islamisten zu recherchieren“, sagt Dündar. „Wir fragten uns, wie unser Land zu deren sicherem Hafen wurde und wie es möglich war, dass Kämpfer unbehelligt zwischen Krieg und Frieden hin- und herpendelten. Und dann gerieten wir an diesen Film. Darin ist ein Lastwagen voll mit Waffen zu sehen und nicht, wie von der Regierung behauptet, bloß mit humanitärer Hilfe. Deren Ziel: Syrien. Deren Abnehmer: mit hoher Wahrscheinlichkeit Islamisten, sei es der IS oder Al Kaida. Der Lastwagen wurde vom türkischen Geheimdienst begleitet, der Film zeigte, wie die Gendarmerie ihn stoppte und öffnete. Es war der Beleg, den wir brauchten. Der Beweis eines internationalen Verbrechens.“ Dündar zögerte keinen Augenblick. „Das sind die von Erdogan geleugneten Waffen“, prangte am nächsten Tag auf der Titelseite seines Blattes.

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Ceyda Karan, Außenpolitikreporterin bei Cumhuriyet (Foto: Ricardo Herrgott)

Dündar hatte damit sein eigenes Urteil verfasst. Für ihn und einen Kollegen folgten drei Monate Einzelhaft in Silivri, einem Hochsicherheitsgefängnis zwei Autostunden hinter Istanbul. Der Präsident persönlich hatte gegen Dündar und seinen Büroleiter in Ankara Strafanzeige erstattet. Im Staatsfernsehen musste er zuvor notgedrungen die Waffenlieferungen zugeben, behauptete aber, diese hätten der turkmenischen Minderheit in Syrien gegolten. Deren Vertreter dementierten dies später.

„Moscheen als Kasernen“

Während Dündar hinter einer sieben Meter hohen Mauer mit Stacheldraht einsaß, empfing der Präsident Angela Merkel in seinem Palast der tausend Zimmer. Auf goldverzierten Thronen einigten sie sich dort auf einen Deal zur Flüchtlingskrise. In der folgenden Pressekonferenz erwähnte Merkel die vom International Press Institute in Wien auf dreißig geschätzte Zahl an inhaftierten Journalisten mit keinem Wort.  „Ich kann das Dilemma der europäischen Führer verstehen“, sagt Dündar. „Sie sind wegen der drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei in Panik. Erdogan drohte unverhohlen, sie weiterziehen zu lassen. Also bot ihm Merkel Milliarden, machte ihn zu ihrem Türsteher und versprach wegzusehen, während er ein autoritäres Regime errichtet.“

Recep Tayyip Erdogan. Wer ist dieser Mann, der in einem armen Hafenviertel von Istanbul aufwuchs? Erst Bürgermeister der Stadt am Bosporus war und bald unter dem Verdacht stand, ein Islamist zu sein. Für Verse, in denen er die Moscheen „unsere Kasernen“ nannte, ging er 1999 vier Monate ins Gefängnis. Damals war Atatürks laizistischer Staat noch intakt, heute sind seine Instanzen längst mit Handlangern des Präsidenten besetzt. Erdogan versprach, dass bald niemand mehr wegen seiner Meinung das Gefängnis fürchten müsse, heute  als Präsident landen Hunderte auf seine Anweisung dort. Wer ist er, der der EU anfangs erfolgreich vormachte, ein demokratischer Reformer zu sein? Einer, der Gewaltenteilung und Bürgerrechte in ein von der Armee dominiertes Land bringen würde und letztlich die EU doch nur benutzte, um Atatürks Erbe auszuhebeln. Seit 2002 beherrscht er die Türkei, erst als Premier, nun als Präsident, wenngleich die Ämter angesichts seiner charakterlichen Züge völlig irrelevant bleiben. Selbst ihm ergebene Höflinge tauscht er rücksichtslos aus, sobald er Spurenelemente eines möglichen Verrats wittert. Sein Ziel ist klar. Es ist die unumschränkte Macht. Die Bündelung aller Kompetenzen beim Präsidenten. Um dies zu erreichen, ist er bereit, seine eigene Erfolgsbilanz, den wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes und den Frieden mit den Kurden zu riskieren.   

Der Präsident scheint dünnhäutig, ruchlos, rachsüchtig und wirkt zugleich doch auch gewinnend und jovial. Während die Massen ihn lieben, lässt ihn die kleinste Kränkung ausrasten. Viele seiner Masken hat er längst fallengelassen. Dahinter kam die islamische Agenda zum Vorschein, die ihn seit seinen Anfängen umtreibt. Was ihm, als Atatürks Staat noch mächtig war, nur rausrutschte, sagte er nun ganz offen. Dass etwa Alkohol ebenso eine Sünde sei wie Geburtenkontrolle. Türkinnen hätten mindestens drei Kinder zu bekommen. Was seiner Geisteshaltung widerspricht, verachtet er. Seine Türkei hat fromm zu sein.

„Er ist der neue Sultan“, stellt sein Kritiker Dündar trocken fest. „Erdogan will ein Diktator sein, und er ist nahe am Ziel. Er kontrolliert die Armee, das Parlament, die Justiz, die Medien, die Universitäten, die Zivilgesellschaft und die Straße.“

Vor Dündar liegen die Zeitungen des Tages. Es sind die der Konkurrenz. Die Aufmachung wechselt, die eine setzt mehr auf Bilder, die andere eher auf Text. Ihre Botschaft bleibt die gleiche. „Erdogan. Erdogan. Erdogan.“ Fast auf jedem Titelblatt ist der Präsident. Männlich, mächtig, mutig. Er, der Kanzlerin Merkel droht. Deutschland bestrafen will, weil Berlin es wagte, den Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg zu verurteilen. Er, der die Kurden gängelt. Er, der gegen alle vorgeht, die sich ihm in den Weg stellen. Fast alle Medien sind gleichgeschaltet, gehören zum weitverzweigten Netzwerk der durch ihn Begünstigten. Wer nicht spurt, riskiert seinen Job und bald auch sein Dasein.

„Geh, solange du kannst“

Dündar ist auf freiem Fuß. Sein Urteil, in erster Instanz gefällt, beeinsprucht. Noch im Gericht wurde ihm der Reisepass ausgehändigt. Die Botschaft war klar. Verlasse die Türkei, solange du noch kannst. „Aber ich tue ihnen diesen Gefallen nicht. Ich bleibe und kämpfe.”

Dündar ist kein klassischer Rebell, dafür ist er viel zu ruhig, überlegt und ausgeglichen. Er hat unzählige Bücher geschrieben, TV-Dokumentationen gedreht und ist ein geduldiger, aber auch trotziger Mann. Auch die Monate in der Isolationshaft schrieb er nieder. „Wir sind verhaftet“, nannte er das daraus entstandene Buch. Das Cover ziert ein Gitter, das auch ein Hashtag ist. Das Zeichen und der Satz stammt aus seinem ersten Tweet nach der Festnahme. Drei Millionen Menschen folgen Dündar auf Twitter. Auch wenn der Nachrichtendienst von der Regierung immer wieder abgeschaltet wird, haben viele Türken gelernt, die Sperren zu umgehen, da sie nur dort noch erfahren, was in ihrem Land vor sich geht. Dündar vergleicht die Lage gern mit einem Frosch im siedenden Kochtopf. „Der spürt erst auch nicht, wie das Wasser heiß wird. Wenn er es dann tut, ist es schon zu spät und er tot.“

„Allahu Akbar“ vor Gericht

Selbst in Istanbuls europäischem Zentrum ist die Veränderung sichtbar. Waren dort noch vor Jahren kaum voll verschleierte Frauen anzutreffen, sind sie nun Teil des Straßenbildes. Hier, am Taksimplatz, unter Atatürks Denkmal, wartet Ceyda Karan. Sie ist 47 und arbeitet wie Dündar für Cumhuriyet, der letzten Trutzburg der Opposition.

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Recep Tayyip Erdogan auf einem Plakat in Istanbul (Foto: Ricardo Herrgott)

Auch sie trägt das Signum der Verurteilten, der vor Gericht gestellten, der Missliebigen. Zuständig für Außenpolitik, entschied sie sich vor zwei Jahren, nach den Anschlägen auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris, deren versöhnendes Cover mit dem weinenden Propheten in ihrer Kolumne zu veröffentlichen. Kaum gedruckt, brach der Sturm los. Religiöse Eiferer hetzten gegen sie. Sie erhielt Morddrohungen. Der Präsident persönlich empfahl jedem Bürger, Karan zu klagen. Seine eigenen Töchter und der Sohn gingen mit gutem Beispiel voran. Als der Richter sein Urteil sprach, ertönten im Gericht „Allahu Akbar“-Rufe. „Wir werden das Land nicht in islamische Gewänder gekleideten Faschisten überlassen”, twitterte Karan und legte Berufung gegen die zwei Jahre  Haft ein. Von Europa, der EU und deren in Reden gern betonten Werten, ist sie enttäuscht. „Oft frage ich mich, ob ihr nicht sehen wollt, wie in der Türkei Schritt für Schritt die Scharia eingeführt wird? Oder, ob ihr es seht und schlicht und einfach ignoriert?”

Sie, Dündar und die Kollegen der Cumhuriyet fühlen sich im Stich gelassen. „Wir leben und verteidigen Werte, die ihr westlich nennt“, sagt Karan, „und ihr steht auf der anderen Seite, bei Erdogan?“ Für sie ist erwiesen, dass der Präsident die Flüchtlingskrise bewusst eskalieren ließ, um die EU in seine Abhängigkeit zu bringen. Und auch um Rache zu nehmen für erlittene Demütigungen. „Er ist ein Missionar. In der Türkei genauso wie in Europa. Wenn er auf Österreich schaut, sieht er Moscheen und Massen, die zu folgen haben.” 69 Prozent der in Österreich lebenden Türken stimmten bei den Wahlen im vergangenen Herbst für Erdogans Partei AKP. Mehr als in der Türkei selbst, wo sie auf 49 Prozent kam.

„Lasst uns nicht im Stich“

„Erdogan ist ein raffinierter Spieler. Ein Stratege, der Schritt für Schritt seinen Plan umsetzt“, sagt Karan. „Und der besteht in der Islamisierung des einzigen mehrheitlich muslimischen Landes der Region, das eine Demokratie ist. Stürzt die demokratische Türkei, so trifft dies auch Europa.”

Karan streift durch den Gezipark, jenen ikonenhaften Ort, der vor genau drei Jahren erstmals Massen gegen Erdogan auf die Straßen brachte. Was als kleiner Protest gegen die geplante Zerstörung des Parks begann, sollte zum Zünder eines Aufstandes der anderen, weltlichen Wähler werden, der bald das ganze Land erfasste. „Europa gab sich ein wenig schockiert, kritisierte Erdogan sanft hinter verschlossener Tür, kehrte aber bald wieder zum Regelbetrieb zurück.“ Es ist diese Heuchelei, die Karan ärgert.

Anders als Dündar, der besonnener und kontrollierter ist, spricht sie dies offen aus. Die Türkei, welche die Organisation Reporter ohne Grenzen bei der Pressefreiheit hinter Russland auf Platz 151 von 180 reiht, hat einen Wendepunkt erreicht. Karan und Dündar, und all die anderen, die ins Visier des Präsidenten gerieten, mussten vor Gericht erkennen, dass sie ihm und seinem Apparat allein gegenüberstehen. Sie waren trotzdem nicht bereit, ihre Ideale zu verraten. Würden sie aufgeben oder gar davonlaufen, erschiene ihnen der Verrat noch weit größer. Auch wenn sie alles, was sie sich aufgebaut haben, zu verlieren drohen, sie Tag für Tag angefeindet und bedroht werden, sie weichen nicht.

Erschienen in News 23/2016

Das VIDEO zur Reportage

Anmerkung: Wenige Wochen nach Erscheinen dieser Reportage kam es in der Türkei zu einem Putschversuch, der scheiterte und dem massive „Säuberungsaktionen“ folgten, die auch Medien zum Ziel hatten. Zahlreiche Journalisten verloren ihre Arbeit, Sender und Zeitungen wurden eingestellt, Redakteure festgenommen. Can Dündar hatte die Türkei noch davor verlassen und befindet sich seither im unfreiwilligen Exil in Europa. Seiner Ehefrau, die ihm dorthin folgen wollte, wurde die Ausreise verweigert, ihr Pass wurde eingezogen. Später gingen die türkischen Behörden direkt gegen die Zeitung Cumhuriyet vor. Dündars Nachfolger als Chefredakteur wurde verhaftet, etliche Journalisten wurden festgenommen und die Redaktionsräumlichkeiten von der Polizei durchsucht. 

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