
Uber-Pilotin Shanna in San Francisco (Foto: Ricardo Herrgott)
Eine Firma, die kein einziges Auto besitzt, wird zum größten Transporteur der Welt. Und deren Mitarbeiter, die auch keine solchen sind, zu hechelnden Hunden. Uber – eine Story aus der Zukunft, über die schöne neue Welt der Arbeit von Morgen
Hey, hier ist dein Uber und ich bin Shanna. Ich fahre schon seit dem Sommer in San Francisco und habe über eintausend Fahrten.” Der Satz, den sie in ihrem fröhlichen Singsang noch oft wiederholen wird, fällt das erste Mal am frühen Abend. Shannas silberner Toyota Camry Sport steht mit eingeschalteter Warnblinkanlage in zweiter Spur auf der Market Street. Eine Dame im Businesskostüm hat eben auf der Rückbank Platz genommen. Während sie ihr Smartphone verstaut, legt Shanna den Blinker ein und sucht die Lücke zwischen den Autos. Shanna, die Frau mit dem blonden Haar, ist 37, zweifache Mutter und so etwas wie das kleinstmögliche Teilchen in einer globalen Welt, die nach neuen Regeln spielt. Regeln, die in ein Amerika der Zukunft weisen, ganz gleich, ob Hillary Clinton oder Donald Trump am kommenden Dienstag die Wahl gewinnt. Die Passagierin mustert Shanna: „Und, sind sie gerne Uber-Fahrerin?”
Milliardenverlust? No problem
Uber ist ein Unternehmen, das alles, was wir über Wirtschaft zu wissen glauben, auf den Kopf stellt. Nur sieben Jahre nach dessen Gründung, ist die Firma siebzig Milliarden Dollar wert. Mehr als Giganten wie Ford oder Honda, die Jahrzehnte brauchten, um nur in die Nähe einer solchen Flughöhe zu geraten. Uber hat in dieser Zeit noch nie Gewinn gemacht. Ganz im Gegenteil. Im ersten Halbjahr 2016 betrug der Verlust 1,3 Milliarden Dollar. Sein Chef gilt deswegen aber keineswegs als Versager, sondern ist Multimilliardär und zählt zu den reichsten Amerikanern. Investmentbanken wie der berüchtigte Clinton-Sponsor Goldman Sachs pumpen Milliarden in Uber. Wäre man naiv, könnte man Uber einfach die größte Taxifirma der Welt nennen, doch das würde den Plan dahinter verschleiern. Das Unternehmen ist in über 400 Städten in 70 Ländern der Welt aktiv, darunter auch Österreich. 30 Millionen Menschen fahren im Schnitt pro Monat damit. Dabei besitzt Uber nicht einmal ein einziges Auto und beschäftigt auch keinerlei Fahrer. Verrückt? Willkommen in San Francisco, dem Silicon Valley, der New Economy, dort, wo nichts mehr gilt, was wir lernten und die Gesetze einer schönen neuen Welt geschrieben werden.

Shanna, ausgepowert, in einer Nacht, die noch lange nicht endet (Foto: Ricardo Herrgott)
Diesen folgend, hat Shanna – fünfeinhalb Stunden und siebzehn Fahrten später – ihre ersten 135,07 Dollar in dieser Nacht verdient. Uber knöpft ihr von jeder Fahrt zwanzig Prozent Provision ab und einen Dollar fünfzig Vermittlungsgebühr. Shanna ist damit noch im Minus, denn das Benzin, die Leasingrate für den Wagen und die Versicherung muss sie selbst bezahlen. Ihre Nacht ist daher längst nicht vorüber. Sie schaut auf ihr Smartphone. Es leitet sie durch die Straßen von San Francisco. Lässt sie einen Passagier nach dem anderen aufklauben. Hoch die steilen Straßen, runter zu den Start-Ups im Financial District, vorbei an ganz gewöhnlichen Apartments, in denen eine Einzimmerwohnung viertausend Dollar im Monat kostet. Shanna ist der blaue Punkt auf der Karte, eine von 18.000 Fahrern, die allein in dieser Stadt für Uber unterwegs sind. Echte Taxilenker gibt es vielleicht noch 800, keiner weiß das mehr so genau. Draußen vor der Stadt verrosten auf den Schrottplätzen schon die Autos derer, die längst aufgehört haben.
Shanna loggt sich nach einer kurzen Pause wieder in die Uber-App ein. Schon wird ihr der nächste Passagier zugewiesen. Alles läuft online. Der Kunde macht ein paar Klicks, gibt sein Fahrziel ein und Sekunden später erscheint der Preis. Der ist, wie es Uber nennt, dynamisch, oder rangiert, in realer Sprache ausgedrückt, zwischen Okkasion und Wucher. Je nachdem, wie viele Menschen gerade eine Fahrt brauchen, steigt oder sinkt er. Algorithmen entscheiden. Was dazu führen kann, dass nach einem Terroranschlag, wie einmal geschehen in Sydney, alle, die nur schnell vom Tatort weg wollen, horrende Preise erhalten. Computer haben eben kein Gefühl für reale Bedrohung. In ruhigen Zeiten ist Uber hingegen billiger als jedes Taxi und wohl auch cooler. Ein Monopol wird durch das nächste, optimiertere ersetzt. Auf diesem Prinzip der Zerstörung traditioneller Strukturen beruht das ganze Geschäftsmodell des Silicon Valley und es erklärt die Milliarden, die in dessen Unternehmen fließen. Es ist einfach eine Wette auf die Zukunft und wie diese aussieht, wissen bekanntlich die Algorithmen. Dafür gibt es darin keine grantigen Taxler mehr, sondern sonnige Gemüter wie Shanna, für die Uber die Rettung war.
“Ich arbeitete früher als Kindermädchen, Kurierfahrerin, Putzfrau. Daheim zwei Töchter im Teenageralter und ein Mann, der gewalttätig war.” Der einstige US-Soldat im Irak machte Shanna das Leben zur Hölle. “Meine Töchter mussten mich nicht nur einmal vom Boden aufklauben oder die Cops zu Hilfe rufen.” Wer sieht, wie Shanna heute mit ihren Fahrgästen scherzt, die Musik laut aufdreht und ihnen begeistert ihren Begrüßungssatz entgegenwirft, kann kaum glauben, dass sie erst nach Jahren vor ihrem Mann floh. Sie und die Töchter lebten danach drei Monate lang in einer Scheune auf dem Land, hatten nicht einmal eine Dusche und fanden doch einen Weg zurück – Uber rette mich.
Geschmolzene Mittelschicht
Das Milliardenunternehmen gibt sich selbst gern den Anschein des Wohltäters. “Sharing is caring”, lautet der amerikanische Leitsatz, also teilen heißt füreinander dazusein. Der Schönsprech meint, man könne doch, ganz selbstlos, sein Auto mit anderen nutzen, Fahrgemeinschaften bilden und dabei auch noch die Umwelt schonen. Auf der “Sharing Economy” beruht das halbe Silicon Valley. Also teile dein Auto auf Uber, deine Wohnung auf AirBnB und dein ganzes Leben auf Facebook. Bloß, sobald die Rechnung kommt, ist es vorbei mit der Uneigennützigkeit. Im Netz ist nichts gratis. Bezahlt wird mit den eigenen Daten und bei Uber und Co. mit ordentlicher Provision.
Shanna steuert ihren Wagen über die Pacific Avenue, die so aussieht, wie sie klingt. Altes Geld trifft dort auf neues. Die Milliardäre aus dem Valley haben sich hier ihre Refugien geschaffen. Und Präsident Obama schaute bis vor Kurzem gern zum Spendensammeln bei den demokratisch gesinnten Familienclans vorbei. 19 Minuten Rede plus Abendessen macht 8000 Dollar pro Teller. Wer in den USA eine Plutokratie, also eine Herrschaft der wenigen Reichen sehen will, fühlt sich hier bestätigt. Unten, in den Niederungen San Franciscos, zeigen sich die Folgen davon. Die Stadt ist die teuerste von ganz Amerika, all die gut bezahlten Jobs bei den Valley-Giganten von Facebook bis Google, haben die Preise nach oben schnellen und die Mittelschicht schrumpfen lassen. Jeder fünfte Kalifornier ist arm, jeder dritte gibt mehr als die Hälfte seines Einkommens für die Miete aus. Wohnraum ist für die breite Masse nicht mehr leistbar. Lehrer, Krankenschwestern und alle, die nicht Teil der New Economy sind, stauen sich so wie Shanna oft zwei Stunden und länger ins Zentrum. Selbst Supermärkte haben ihr Angebot angepasst. So kostet echter Orangensaft dort zehn Dollar die Flasche. Der andere, für die Normalsterblichen, erhält zwar nur noch Spurenelemente einer echten Orange, dafür Verlockendes mit Namen wie Neotamin, Acesulfam Potassium, Hexametaphosphat und weitere wohlklingende Bestandteile – aber zumindest gelb ist er noch und kostet nur drei Dollar.
Es ist 2 Uhr 14. Die Bars schließen. Es ist Halloween, das Partyvolk will weiter. Shanna blickt auf ihren Schirm, sieht auf der Karte von San Francisco einige rote Flecken, die wie Brandherde wirken. Sie klatscht in die Hände. “Surge!” Mehr Nachfrage als Angebot an Fahrten, die Preise steigen, sie verdient mehr. Die weltweit eine Million Uber-Fahrer sind keine Angestellten des Giganten, sondern, im Schönsprech, freie Unternehmer. In zu Herze gehenden Promovideos wird das angepriesen. Endlich dein eigener Boss sein, fahren wann und wie du willst. Uber lechzt nach immer mehr Lenkern, denn das drückt die Preise. Auf YouTube jubeln welche, dass sie 4000 Dollar im Monat und mehr verdienen würden. Uber-Aussteiger vermuten dahinter vom Konzern angeworbene Lockvögel. “Das ist eine billige Masche”, verrät einer, der hinwarf und anonym bleiben muss: “Ich fuhr sechs Tage durch. Manchmal konnte ich kaum noch die Augen offen halten. Aber, wenn du deine Kosten abziehst, bleibt dir pro Stunde weniger als der Mindestlohn von zehn Dollar. Am Ende geht dein Auto kaputt, du kannst die Reparatur nicht zahlen, kommst drauf, dass dich Uber abgezockt hat und die nächsten willigen Fahrer schon auf der Matte stehen.”
Die Firma agiert im rechtlichen Graubereich. Lenker, die auf Anstellung klagten, erhielten zuletzt etwa in Großbritannien Recht. In den USA ist das aber kein Thema. Da stellen sich eher die Konzernlenker die Frage, wie sie ihre Nicht-Mitarbeiter dazu bringen, zu gehorchen. Aber wie geht das, wenn du es ihnen nicht befehlen kannst?
Der hechelnde Uber-Hund
Du fütterst die Fahrer mit kleinen Belohnungen. Teilst ihnen etwa das Lob mit, das Passagiere über die App abgegeben haben. “Super Fahrt, Mann!” “Großartig, dass du uns sicher heim gebracht hast” Solche Sachen. Banalitäten möchte man meinen, aber im Valley-Sprech hat eine Fahrt von A nach B auch eine “terrific experience” zu sein, also ein großartiges Erlebnis. Und seien wir uns ehrlich, sehnen wir uns nicht alle nach ein wenig Lob und Anerkennung? Uber liefert es den Fahrern und die werden nun wie angefixte Laborratten danach trachten, mehr davon zu erhalten. Der Vorteil für Uber: das Lob kostet nichts und bewirkt, richtig eingesetzt, bald eine Verhaltensänderung seines Nicht-Personals. Das erinnert stark an den Verhaltensforscher Pawlow und seinen Hund. Anfangs hechelt der nur, wenn er Futter bekommt, dazu läutet eine Glocke. Am Ende reicht der Klang der Glocke aus, um ihn zum Hecheln zu bringen, ganz ohne Futter. Und genau das bezweckt auch Uber.
Bestrafung ist ein anderer Weg, erwünschtes Verhalten zu erreichen. Wer etwa eine Anfrage sausen lässt, wird verwarnt. Ignoriert der Fahrer eine weitere, wird er für eine Zeit Time Out gesetzt. Wiederholt sich das Versagen, erfolgt die Komplettsperre. Diese droht auch, wenn Fahrer schlecht bewertet werden. Jeder Gast ist aufgefordert, seinen Lenker am Ziel zu benoten. Fünf Sterne ist das Maximum, fällt ein Fahrer unter 4,6, ist er draußen. Der Bewertungswahn ist gang und gäbe im Valley. Alles gleicht einem Videospiel – hoch ins nächste Level, Belohnung kassieren, Bestrafung vermeiden, immer weiter, immer schneller, immer gefügiger. Das Verhältnis von Uber zu seinen Mitarbeitern ist damit auch ein Vorgriff auf die Beschäftigungsverhältnisse von Millionen anderer Menschen in der Zukunft. Forscher gehen davon aus, dass die Digitalisierung bis zur Hälfte aller gegenwärtigen, auch weit anspruchsvolleren Jobs, vernichten wird. Wer künftig weiter einen hat, ist nur noch selten angestellt. Das Prinzip Uber ist überall.
“Ich gebe euch fünf Sterne, kann ich mich darauf verlassen, dass ihr das selbe macht?”, fragt Shanna daher jeden ihrer Fahrgäste vor dem Aussteigen. Es ist weit nach drei Uhr in der Früh. Sie macht kurz Pause, hockt im Kofferraum ihres Wagens, schüttet hochkoffeinhaltigen Kaffee in sich und überlegt, wie lange sie noch fahren soll. “Am Ende sind wir alle die Sklaven von Uber”, sagt sie, “und der Konzern bestimmt, wie groß die Karotte ist, die er dir vor die Nase hält.” Um über die Runden zu kommen, sitzt sie manchmal vierzehn Stunden hinter dem Steuer, an fünf oder sechs Tagen die Woche. Und ist froh, diesen Job zu haben.
Am nächsten Tag ist Shanna, das kleinste Teilchen der New Economy, hoch oben im Himmel. An Bord einer alten Cessna 172 fliegt sie über das Valley. Sie sieht die Staus auf den Highways, die Abertausenden Uber-Fahrer darin. Bald werden auch sie durch Computer ersetzt werden. Der Konzern testen schon in vier US-Städten den Probebetrieb mit selbstfahrenden Autos. Es ist eine Revolution, die dort unten stattfindet. Sie wäscht alles weg, was uns vertraut ist und lässt am Ende nur die neuen Monopolisten des Valleys am Leben. Shanna fürchtet sich davor nicht. Selbst ein Trump als Präsident würde ihr keine Angst einjagen. “Alles Show, alles Theater”, sagt sie, “die wahre Politik bestimmen längst die Konzerne dort unten, da brauche ich gar nicht wählen zu gehen.” Dort unten warten ihre beiden Töchter, die selbst angehende Pilotinnen sind. Das Fliegen haben sie sich selbst beigebracht, die Ausbildung vom Mund abgespart und sich damit den Weg für den Ausstieg aus Uber hart erarbeitet. Shanna war ganz unten und kämpfte. Langsam rückt sie ihrem Ziel näher. Das des Valleys liegt in der perfekten Welt, im Übermenschen, der im Sinne des Philosophen Nietzsche ideal, über sich hinausgewachsen, perfektioniert und fehlerfrei ist. Five Star, eben. Man muss bloß aufpassen, dass der Ubermensch dabei zu keinem Unmensch wird.
Das Video zur Reportage aus San Francisco
Erschienen in News 44/2016