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Zuversicht trifft Zorn

Es ist ein Duell Hell gegen Dunkel, Moderne versus Tradition, Gewinner kontra Verlierer. Was Frankreichs Präsidentenwahl entscheidet, ist in Wahrheit der große Kampf unserer Zeit – und nichts ist dabei so klar, wie es schien

Von Christoph Lehermayr; Fotos: Ricardo Herrgott

Schwarzer Rauch steigt auf. Vor der Einfahrt zu einer Fabrik brennen Reifen. Flammen züngeln aus Tonnen. „Highway to Hell“ von AC/DC dröhnt aus den Lautsprechern. Männer in Warnwesten wärmen sich am Feuer, Frauen schneiden in einem Zelt Baguette auf. An den Zäunen zur Firma hängen Transparente. „Whirlpool – Waschen. Trocknen. Auslagern“, steht auf einem. „Drei Monate da und nur Blabla“, auf einem anderen. Direkt vor der Zufahrt zur Fabrik lehnt ein Sarg. Er ist in schwarzes Tuch gehüllt. „Whirlpool hat hier in Amiens 286 Arbeitsplätze getötet“, ist darauf gedruckt.

Die Vorgeschichte ist schnell umrissen. Der Haushaltsgerätehersteller sperrt zu. Die Amerikaner machen in Frankreich mit ihrer Fabrik zwar Gewinn, aber anscheinend nicht genug. Die Antwort? Abwandern. Dorthin, wo es billiger ist. Nach Polen etwa. Francois Gorlia ist fünfzig. Er ist einer der Männer am lodernden Feuer. Ein Kerl mit festem Händedruck, klaren Gedanken und mächtig viel Wut im Buch. Seit 25 Jahren ist er hier beschäftigt. Drei Kinder, 1700 Euro netto im Monat. Eine Biographie, die derer von vielen gleicht. Im Jänner erreicht ihn die Nachricht, dass sein Werk dicht machen soll. Ohne Vorwarnung, ohne Mitleid, ohne ein weiteres Wort. Seither streiken er und seine Kollegen. Sie wollen verhindern, was anderswo längst entschieden wurde. Mit anderen Gewerkschaftern fährt Gorlia nach Polen. Er will sich anschauen, wohin seine Arbeit wandern soll. Was er sieht, ist eine Baustelle, was er hört, eine Zahl: 447 Euro. Der Verdienst jenes Mannes, der künftig seinen Job machen wird.

Firma geht, Zorn bleibt

Es ist Wahlkampffinale und die Geschichte der Streikenden im Norden Frankreichs eine, die so überall in der westlichen Welt geschrieben wird. Würde nicht am Sonntag ein neuer Präsident gewählt, endete das Interesse für das Schicksal dieser Männer und Frauen knapp hinter der Stadtgrenze.

So aber wird hier stellvertretend einer der großen Konflikte unserer Zeit ausgehandelt. Es geht um viel. Frankreich ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, in Europa die Nummer zwei hinter Deutschland, ein Eckpfeiler der EU. Der Parkplatz vor dem Whirlpool-Werk wird damit zum Schauplatz für den Kampf um Antworten. Und die liegen zwischen Liberalismus und Protektionismus.

Zuerst der Auftritt des Liberalen: Emmanuel Macron stürmt, wie immer im dunklen Anzug und hellblauen Hemd, umringt von Kameraleuten und Journalisten, in die Halle der örtlichen Wirtschaftskammer. Er reicht Gorlia und seinen Kollegen von der Gewerkschaft kurz die Hand.

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Bedrängt: Macron auf dem Weg zu den Whirlpool-Gewerkschaftern

Lange hat sich Macron um diesen Besuch gedrückt. Ihm eilt der Ruf des kalten Globalisierers voraus. Ein Eliteschüler, ein Ex-Banker bei Rothschild, der mit 36 unter den Sozialisten Wirtschaftsminister wurde. Schon nach zwei Jahren schmiss er hin, als er bei der Reform des rigiden Arbeitsrechts anstand. Der Staat gilt ihm  als verknöchert, morsch, gelähmt. Macron sieht sich als Alternative zu diesem System, dessen Bestandteil er eben noch war. Er gründet seine eigene Bewegung, tourt fortan quer durch Frankreich und predigt bald, die kranke Nation heilen zu können. Nun ist er der Favorit aufs Präsidentenamt. Er konnte sich nun nicht länger drücken. Er musste herkommen. Nach Amiens. In seinen alten Heimatort.

Er und die Gewerkschafter ziehen sich für eine Stunde zu Gesprächen zurück. Noch bevor Macrons Pressekonferenz beginnt, bricht Unruhe unter den Journalisten aus: Marine Le Pen ist bei den Arbeitern! Nur ein paar Kilometer weiter. Auf dem Parkplatz, bei den brennenden Tonnen. Es ist der unangekündigte Auftritt der erfahrenen Populistin und Protektionistin. Sie bleibt 45 Minuten, lässt unter Jubel Selfies mit sich machen und prangert dazwischen die EU, eine „verschworene Oligarchie“, die „brutale Globalisierung“ und die „Lüge“ an, dass der Staat gegen all das machtlos sei. „Nicht mit mir. Ich wehre mich und schütze euch.“ Es folgt ihr rascher Abgang.

Ein Grashalm im Wind

Als Macron Stunden später auf dem selben Parkplatz eintrifft, pfeifen ihn die Arbeiter aus. In TV-Kameras hatte er zuvor gesagt, dass die Firma nicht mehr zu retten sei. Nur mit Mühe gelingt es ihm, sich Gehör zu verschaffen: „Ich bin nicht gekommen, um Ihnen vollmundige Versprechungen zu machen, die ich später nicht halten kann“, sagt er schließlich, „ich habe verhandelt, Madame Le Pen machte Selfies. Ich kämpfe für einen Sozialplan, sie setzt auf billigen Populismus. Was ist ihr Programm? Whirlpool verstaatlichen? Wir brauchen die EU. Gleich nebenan, bei Procter&Gamble, gehen neunzig Prozent in den Export.“

Was ist richtig, was falsch? Wer hat die Antworten, wer die Lösungen? Gorlia weiß es am Ende dieses Tages nicht besser als am Morgen. Wählen geht er schon lange nicht mehr. Aber, dass Le Pen heute hier war, das sei kein Fehler gewesen. Sie ist ihm ein Strohhalm, an den er sich klammert, während Macron auf ihn wie der Wind wirkt, der ihn knickt.

Das Duell Macron versus Le Pen ist viel mehr als die Stichwahl um Frankreichs Präsidentenamt. Es gleicht einer Schablone des Streits über die Welt von Morgen. Es ist wie Bleiben versus Brexit, Clinton gegen Trump, Van der Bellen kontra Hofer. Überall das selbe Phänomen. Schon das Ergebnis der ersten Runde in Frankreich spiegelt den Konflikt wie unter einem Brennglas wider. Da die kleinen Städte, das flache Land, das Leben derer, die an den Orten sterben, in denen sie einst geboren wurden. Es ist die Welt von Francois Gorlia, die aus den Fugen gerät. In die Arbeitslosigkeit einzieht, Kräfte, über die er keine mehr Kontrolle hat. Die Arbeiter von Amiens, sie sind die Abgehängten unserer Zeit und sie sind nicht allein. Nur Verschubmasse in einem Meer voller Wut, in dem das Wasser steigt. Le-Pen-Land.

Die Welt der Erfolgreicheren liegt weit weg. Derer, die sich mit der Moderne nicht nur arrangieren, sondern sie oft auch dirigieren. Es ist das andere Frankreich, das der Metropolen und ihrer darin lebenden Bewohner. In La Défense, Paris’ hypermodernem Stadtteil voller Wolkenkratzer, tritt Vincent Blanc aus einem dieser. Er trägt dunklen Anzug, ist fünfzig und teilt nur das Alter mit Francois Gorlia in Amiens. Sonst gleicht sein Leben dem eines modernen Nomaden. Heute das Meeting in Paris, morgen hinaus auf den Landsitz in der Bretagne und bald danach zurück in die Karibik, nach Guadeloupe, wo er den Großteil seines Jahres verbringt. Er ist Unternehmer, klagt über Frankreichs überbordende Bürokratie und sieht darin den Grund des Übels. Hohe Arbeitslosigkeit, geringes Wachstum, kaum Chancen.

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Die jungen Erfolgreichen in La Défense sind für Macron

Mit Macron, so ist Vincent Blanc überzeugt, käme das zu einem Ende. Er schneide dort rein, wo es wehtut, kündige 120.000 Beamte, dynamisiere die Wirtschaft und würde so, ohne dass Vincent Blanc und Francois Gorlia einander kennen, auch dessen Chancen verbessern. Ein Frexit hingegen, der von Le Pen beförderte EU-Austritt, wäre nicht nur das Ende für Brüssel, sondern auch das von Frankreich.

Welche Welt wollen wir?

Doch der Konflikt geht tiefer. Er reicht weit über die Wirtschaft hinaus. Die Risse verlaufen nicht bloß zwischen Stadt und Land, zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung, sondern sie erfassen das Selbstverständnis einer ganzen Gesellschaft. Euryanthe Mercier ist 22 und Jus-Studentin an der Pariser Elite-Universität Sorbonne. Die junge Frau spricht perfekt Deutsch, ist belesen, charmant und gebildet. Sie hat wenig gemein mit den jungen Leuten, die Le Pen sonst so in stickigen Turnhallen irgendwo inmitten der vergessenen Städte der Peripherie zujubeln. Und trotzdem trägt Euryanthe einen Stapel voller Marine-Prospekte. Verteilt sie auf einem Markt im noblen sechzehnten Pariser Arrondissement, gleich hinter dem Trocadéro, von wo man den schönsten Blick auf den Eiffelturm hat. Die Polizei verscheucht gerade Touristen von dort, wirkt nervös. Eine Bombendrohung? Schon wieder Terror? Keiner weiß es. In der Métro patrouillieren nun Soldaten mit Gewehren. Es herrscht Ausnahmezustand. Schon weit über ein Jahr.

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Euryanthe wirbt für Marine in Paris

Euryanthe gilt das nur als Bestätigung ihres Engagements für Le Pen: Sicherheit schaffen. Ein Frankreich, in dem sie sich nicht fürchten muss, wenn sie nachts vom Jobben in einer Bar heimfährt. Ein Land, in dem sie keine Gruppe von Typen in der Métro anmacht, von denen die Hälfte gar nicht hier sein dürfte.  „Wir brauchen Grenzen und Kontrollen. Ein Vorgehen gegen Illegale, Kriminelle, Islamisten, Feinde unserer Werte“, sagit sie. Euryanthe dekliniert die Situationen durch, die all das in Frage stellen. Und die auch ihr Wertegerüst ins Wanken bringen. Homoehe, Schwulen-Adoption, all das, was in den Metropolen längst massentauglich wirkt, widerstrebt ihr. Und daher: Le Pen. Es ist der Konflikt zwischen Tradition und Moderne, Offenheit und Grenzen, Europa und Nationalismus, der sich in ihr widerspiegelt.   

Und so wird Frankreichs Stichwahl auch zu einer Abstimmung über Lebensmodelle. Der Liberale gegen die Radikale, der Optimist gegen die Pessimistin, das eine Frankreich gegen das andere.

Macron wirkt am Abend von seinem missglückten Auftritt vor der Fabrik noch angeschlagen. Er ist nach Arras gekommen. Einer weiteren Stadt im Norden. Die Halle ist voll. EU-Fahnen werden geschwenkt. Der Bürgermeister spricht Lobeshymnen auf den Kandidaten und der bedankt sich mit einer Rede voller Licht und wenig Schatten. „Es gibt keine verlorenen Regionen in diesem Land. Es gibt nur fehlenden Willen in einer zerrissenen Republik“, sagt er. Er ist der Neue, der in der ersten Runde Frankreichs altes politisches System begraben hat. Sozialisten und Bürgerliche kamen gemeinsam gerade noch auf ein Viertel aller Stimmen. Er, der noch nie zuvor für ein Amt kandidiert hat, strebt nun gleich das höchste an. Ohne Ochsentour, ohne Stimmenkeilen auf unterster Ebene. Dafür mit 200.000 Freiwilligen, die für ihn laufen, plakatieren, demonstrieren, marschieren.

Der junge Heilsbringer

Soumaya Nazaf ist eine von ihnen. 38 Jahre alt, Lehrerin, mit Eltern aus Algerien und einer großen Portion Tatendrang. Wie so viele hat sie sich zuvor noch nie politisch engagiert. Erst der junge Heilsbringer voller Zuversicht tat es ihr an. Auf Außenstehende mag vieles von dem, was er sagt, hohl und einstudiert wirken, er dabei glatt und unnahbar. Weshalb sein Sieg keine Gewissheit ist und gerade bürgerliche und linkspopulistische Wähler aus der ersten Runde bei der Stichwahl daheimbleiben könnten. Soumaya Nazaf kämpft dagegen an. Geht seit Monaten von Tür zu Tür, Block zu Block, Viertel zu Viertel. Anfangs ist sie aufgekratzt und begeistert vom Neuen, der Veränderung, den Chancen, gerade für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.

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Soumaya wirbt in Arras für Macron

Nach Macrons Auftritt treffen sich die Honoratioren der Stadt in einer feinen Bar im Zentrum von Arras. Besprechen, wie gut er war, welch Geschenk Le Pen als Gegnerin nicht sei, da nur so der Schulterschluss des Landes herstellbar wäre, der ihm den Sieg brächte. Es sind fast ausschließlich Männer, viele von ihnen früher in anderen, nun dem Untergang geweihten Parteien beheimatet. Noch vor dem Sieg verteilen sie hier das Fell und planen ihren eigenen Aufstieg. Nur auf Soumaya vergessen sie. Kein Blick, kein Drink, kein Dankeschön. „En Marche!“, sagt sie am Ende bedrückt. So lautet der Name von Macrons Bewegung. „Gemma!“, ist die wohl treffende Übersetzung ins Österreichische.

Die versierte Blenderin

Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Wo Zuversicht, dort Enttäuschung. Selten zuvor schien eine Wahl so klar und widersprüchlich. Nach der ersten Runde ließ sich Le Pen in einer geschundenen Stadt im Norden Frankreichs feiern. Fast die Hälfte der Menschen dort hatte sie gewählt. Sie verhieß ihnen Schutz in einer Zeit, die sie aus dem Takt gebracht, ihr vertrautes Leben in Frage gestellt hatte. Es ist das dunkle, vergessene Frankreich, auf das sie ihr Licht wirft. Menschen, die sich nicht länger darum kümmern, ob ihr Vater ein verurteilter Holocaust-Leugner ist. Die sich nicht mehr fragen, ob sich auch hinter ihrer „Marine“ ausgewachsene Rassisten verbergen. Die eigene Kränkung scheint zu groß, als dass auf die Warnungen aus dem anderen Frankreich noch gehört würde. Man spricht längst nicht mehr miteinander. Man kennt einander nicht mal.

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Dezidiert und deklariert europäisch: Macron in Arras

Macron ließ sich derweil zum Feiern in ein feines Pariser Restaurant fahren. Nur fünf Prozent der Stimmen hatte Le Pen in der Hauptstadt geholt. Im „La Rotonde“ stieß Macron mit seiner Frau, Intellektuellen und Vertrauten aus der Wirtschaft an. Es war nichts Besonderes, kein ausschweifendes Gelage, kein exquisites Essen, das der Empörung wert gewesen wäre, und doch eine blamable Botschaft an die Provinz, an das andere Frankreich, das er nicht gewonnen hatte.

Verzeiht es ihm, ist er dessen nächster Präsident. Versehen mit der Aufgabe, die Risse zu kitten, das Land zu einen. Scheitert er, kommt Le Pen. Die kehrte wohlweislich erst am Morgen des nächsten Tages in ihre Pariser Vorstadtvilla zurück.

Erschienen in News 18/2017

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