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Planet Putin

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Nationalistin Katasonowa vor ihren Helden Putin und Trump

Sie schätzen Trump, wollen Le Pen und lieben Putin. Ganz Russland? Die Geschichte einer neuen Weltordnung als Reise durch das wilde Moskau

Von Christoph Lehermayr, Moskau; Fotos: Ricardo Herrgott

Bevor die Nacht hereinbrach, hatte sie ihr enges schwarzes Kleid angezogen und dezent Schminke aufgetragen, um vergessen zu lassen, wer sie war. Nun steht Maria Katasonowa in einem Loft hoch über Moskau. Sie ist 23 und es ist ihr großer Abend. Eine Videoleinwand wird aufgebaut, Krimsekt kalt gestellt, Sessel werden zurechtgerückt und Piroggen aufgetischt. Es gibt Grund, zu feiern. Kräftige Männer tauchen auf. Es sind Russen, sie tragen Käppchen mit Trump-Aufschrift und schleppen drei gewaltige Gemälde in den Raum.

Vom Paria zum Partner?

Katasonowa inspiziert sie. Das eine zeigt Putin, die anderen Trump und Le Pen. Alle drei in Düsternis, mit blondem Haar, stechendem Blick, nach rechts gerichtetem Haupt. Die Herrscher ihrer neuen Welt. Katasonowa nickt anerkennend. „Heute endet die Epoche Amerikas für alle Zeit“, wird sie später in die Blöcke der Journalisten diktieren, während hinten Trumps Vereidigung im fernen Washington über den Schirm flimmert. Es ist der Abend seiner Angelobung, doch Katasonowa ist schon einen Schritt weiter, spricht vom Segen, der es wäre, würde im Mai auch Marine Le Pen zu Frankreichs nächster Präsidentin. Katasonowa ist Jungpolitikerin, angehende Abgeordnete einer Rechtsaußen-Kreml-­Kreation und damit das schöne Gesicht des radikalen Russlands. Googelt man ihren Namen, tauchen Fotos von ihr in Uniform auf. An der Front, als Freiwillige im ukrainischen Separatistengebiet. Putin mag noch ihr Held sein, aber im Grunde ist sie Ultranationalistin und steht für das, was wohl käme, wenn er denn ginge.

Es sind Tage einer Zeitenwende in Moskau. Wochen der Rückkehr Russlands auf die Weltbühne. Monate am Beginn einer neuen Weltordnung. Im Weißen Haus sitzt nun ein Mann, der kaum aufhören konnte, Putin zu preisen, und dessen Schandtaten mit jenen des eigenen Landes relativierte: der Kremlherrscher ein „Killer“? „Denkt ihr, wir selbst sind so unschuldig?“ Putins Weg vom Paria zum Partner – mit Trump schien das zu klappen. Bis sein Sicherheitsberater diese Woche wegen zu enger Moskau-Kontakte zurücktreten musste. Und Trump begann, mit gespielter Härte seinen Kuschelkurs zu kaschieren. Putin kann es egal sein. In Frankreich führt die rechte Le Pen die Umfragen an. In Budapest, Prag und Bratislava klatschen Staats­chefs dem Duo Trump-Putin Beifall.  Vieles scheint ihm dieser Tage in die Hände zu spielen, er geostrategisch gestärkt aus Trumps Chaos hervorzugehen. Das US-Magazin „The Atlantic“ schreibt schon von Putins neuer Welt, in der er zum ideologischen Helden der Nationalisten aller Länder geworden ist. Und analysiert, dass er früher als andere sah, woran der Westen krankt. Es sei eine von liberalen Eliten getragene Kulturrevolution, die rasend schnell traditionelle Werte wegspült. „Gayropa“, wie es in Russland verächtlich heißt, plus massiver Zuzug von Migranten würden eine lange schweigende Mehrheit im Westen befremdet zurücklassen. Und diese, aus Angst vor dem Zusammenbruch der Zivilisation, nun anfällig machen für einen autoritären Führer. Eine Art Putin im Kleinformat.

Bei ausländischen Agenten

Wie das Original agiert, zeigt sich in einem Keller am Moskauer Gartenring. Dort sind Fotos ausgestellt, die Russlands größtes Grauen veranschaulichen. Den Gulag, Stalins Internierungslager für achtzehn Millionen Menschen.

Memorial heißt die Organisation, die sich um die Aufarbeitung dieser Finsternis kümmert und sich um die Lage der Menschenrechte im Land sorgt. Dabei sollte die größte Sorge der 45 Mitarbeiter längst der eigenen Existenz gelten. Seit Herbst ist Memorial vom Staat als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt. Ein Schicksal, das es mit weiteren Organisationen der russischen Zivilgesellschaft teilt, die ohne Zuwendung von außen nicht mehr bestehen könnten. Die Folgen der Brandmarkung sind drastisch, wie die Sprecherin Natalia Petrowa beschreibt: ständige Kontrollen, unglaublicher bürokratischer Aufwand, Furcht vor Verhaftung und Einschränkung der Publikationstätigkeit. Kleinere Organisationen konnten das nicht mehr stemmen und mussten schließen. Petrowas Kollege, der verständlicherweise die Veröffentlichung seines Namens fürchtet, sagt: „Sie haben entschieden, uns nicht mit einem Schlag zu zertrümmern, sondern lieber Stück für Stück zu verschlingen. Wir kommen uns vor wie ein Tier im Zoo, dessen Käfig Jahr für Jahr ein Stück kleiner wird.“ Schon machen Geschichten von Menschenrechtsvereinen in der Provinz die Runde, die verboten wurden, nur weil sie ein Buch von Boris Nemzow im Büro hatten.

Mord vor dem Kreml

Boris Nemzow. Der Name fällt ein zweites Mal, ein paar Metrostationen weiter, im Dunkel der Nacht und bei klirrender Kälte. Ein in dicke Jacken eingehüllter Mann harrt still vor einem Bild dieses Nemzow aus. Es ist umringt von Vasen voller Blumen, Kränzen, mit der Hand geschriebenen Nachrichten, Fahnen und einer Zahl auf einem simplen Blatt Papier: 692.

„Vor so vielen Tagen wurde er erschossen, als er zu Fuß nach Hause ging“, sagt Sascha Schewtschenko, „hier, mitten auf der Brücke, in Sichtweite des Kremls.“ Und seit so vielen Tagen hält eine Gruppe um Schewtschenko Nacht für Nacht Wache und pflegt das Andenken an Russlands bekanntesten Oppositionspolitiker. Sie wechseln einander ab, werden immer wieder von der Miliz mitgenommen und kehren doch ständig zurück, damit Nemzows Gedenken gewahrt bleibt. Die Täter, Männer aus dem Kaukasus, wurden zwar verhaftet, das Motiv des Politmordes aber bis heute nicht geklärt. „Nemzow stand für Freiheit und Aufbruch“, sagt Schewtschenko, der Jurist ist und ihn persönlich kannte. Dann überlegt er, wendet den Kopf und blickt auf die im Flutlicht strahlenden Mauern des Kremls gleich dahinter. „Der dort steht für Niedergang und Unterdrückung. Aber solange Russland groß ist, wird immer ein Despot an dessen Spitze stehen. Der jetzige wird nicht ruhen, bevor er seine imperialen Pläne umgesetzt hat. Es wird Krieg geben.“

Auf der anderen Seite der Brücke, am Ufer der Moskwa, sitzt Dmitri Trenin. Er ist Direktor des hiesigen Carnegie-Centers, einer US-Denkfabrik, und ein Mann, dem Schwarz-Weiß-Denken zuwider ist. Ruhig und messerscharf analysiert er die Fehler des Westens, die Putin erst zu dem werden ließen, der er nun ist. Für Russland gab es lange zwei Möglichkeiten. Plan A wäre die Integration in den Westen gewesen. Plan B die Wiedererrichtung eines Imperiums. Beides scheiterte, und die Ursache dafür lag in der Ukraine. Wie fast jeder relevante Russland-Experte ist Trenin überzeugt, dass sich kein russischer Präsident hätte erlauben können, nach dem Machtwechsel in Kiew 2014 auch noch den Einfluss auf die Krim für immer zu verlieren. Die russische Annexion der Halbinsel führte so zum finalen Bruch mit dem Westen. Da aber in der Folge Putins Versuch fehlschlug, zumindest größere Teile der Ukraine in Moskaus Machtbereich zu halten, musste er auch seine imperialen Pläne begraben. Was bleibt, ist der Versuch, dem Westen auf ­Augenhöhe zu begegnen. „Wäre eine Präsidentschaft Clintons von weiterer Konfrontation mit Moskau geprägt gewesen, so scheint Trump nun den Ausgleich von Interessen zu suchen“, sagt Trenin, „und das ist im Sinne Russlands wie der Welt. Wer aber glaubt, Trump und Putin würden beste Freunde, könnte sich noch wundern.“

Treffen mit Hindernissen

Irina Wolodtschenko ist Putins treue Botschafterin und dessen Stimme bei der Jugend. Sie sitzt im Führungsgremium der „Jungen Garde“, einer staatstreuen Jugendorganisation mit 150.000 Mitgliedern und Außenstellen in ganz Russland. Ein Treffen mit ihr bedarf mehrerer Anläufe und scheitert immer wieder.

Zu groß scheint die Skepsis gegenüber westlichen Medien, zu tief der Graben der Entfremdung. Als sie schließlich doch zusagt, lädt sie ins Hauptquartier der „Jungen Garde“. Es ist ein zum Loft umfunktionierter Backsteinbau einer ehemaligen Seifenfabrik unweit der Staatsduma. Alles dort wirkt ein wenig wie in Brooklyn oder San Francisco. Start-up-Firmen haben sich in dem weitläufigen Areal ebenso einquartiert wie Coffeeshops und Clubs – und mittendrin residiert die Putin-Jugend. Wolodtschenko ist dreißig, spielte in einer Realityshow im Fernsehen und wechselte dann in die Politik und zur Staatspartei „Einiges Russland“. Die „Junge Garde“, erzählt sie, diente noch vor nicht allzu langer Zeit als Kaderschmiede für den Politiknachwuchs im Riesenreich. „Doch unsere Umfragen zeigten, dass 94 Prozent der russischen Jugend nicht an Politik interessiert sind, also begannen wir, stärker deren Anliegen auf dem Arbeitsmarkt und an Universitäten zu vertreten.“

Wolodtschenko aber blieb politisch und beklagt, dass das Image Europas und der Reiz des Westens durch die „aggressive Politik gegenüber Russland“ schweren Schaden genommen hätten: „Ich hoffe, dass sich das mit Trump und bald auch Le Pen ändert. Unser nationaler Führer sagt, nur schwache Politiker glauben, uns unterwerfen zu können. Starke vertrauen auf einen Dialog auf Augenhöhe.“

84 Prozent für Putin

Je länger Wolodtschenko spricht, desto stärker kommt das Gefühl des verletzten Stolzes zum Vorschein. Es geht einher mit einer empfundenen Kränkung durch das, was Obama auslöste, als er Russland „eine Regionalmacht“ nannte. Putin oder, im Wolodtschenko-Sprech, der nationale Führer, gibt vor, dies zu bekämpfen. Nicht wirtschaftlich, wo Russland kaum in der Lage ist, aufzuschließen, sondern mit der einzigen Waffe, die das Land seit jeher kennt: dem Militär. Er annektierte die Krim, schickte Kampfverbände in den ukrainischen Donbas und führt in Syrien Krieg an der Seite Assads. Das alles um den Preis der wirtschaftlichen Stagnation und der internationalen Ächtung. Doch auch das dürfte sich ändern. Wolodtschenko ist sich sicher: Putin wird bald vom Geächteten zum Geachteten.

Da die Putin-Gegner, dort dessen Getreue und dazwischen die Realisten. Moskau gleicht einer Stadt im ständigen Widerspruch. Kalt und brutal an einem Ort, warm, herzlich und modern nur ein paar Ecken weiter. In Schnee gehüllt, wirkt sie wie eine herausgeputzte Winterprinzessin und hat sich weit entfernt vom Zerrbild der grauen sowjetischen Stadt. Trotz der Sanktionen des Westens und des abgestürzten Rubels glänzt sie als zutiefst europäische Metropole mit Fahrradwegen, Fußgängerzonen und einem der besten öffentlichen Verkehrssysteme der Welt. In den Bars wird getanzt und gefeiert, geflirtet und gelästert. Gern auch über den heuchlerischen Westen, der in Kriegen und Krisen mit ungleichem Maß misst, aber den Stab über Russland bricht, sobald es dasselbe tut.

Die Zustimmung zu Putins Kurs liegt landesweit bei 84 Prozent. Gestiegen ist sie zuletzt selbst in der Hauptstadt. Dort, wo vor fünf Jahren noch Massendemos bis zu 100.000 Menschen gegen ihn auf die Straße brachten. Selbst die Schwulenszene wächst, ohne dass das groß an die Glocke gehängt würde. „Gayropa“ muss ja nicht alles wissen. Und der Herr im Kreml schon gar nicht. Moskau mit seinen 13 Millionen Einwohnern ist beides: Ort des Aufbruchs und der Verfolgung, es dient allen als Hologramm – den Kalten Kriegern genauso wie den Putin-Huldigern in Washington und anderswo.

Erschienen in News 06/2017

Das Video zur Reportage aus Moskau

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